Henze, Hans Werner

In lieblicher Bläue

Musik für Ensemble: Kammermusik 1958 / Apollo et Hyazinthus / Canzona per sette strumenti

Verlag/Label: Wergo WER 67462
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/06 , Seite 84

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Als das «Dritte Reich» seine Existenz verloren hatte, hinterließen die Nationalsozialisten eine kulturell kahlgeschlagene Landschaft, die nur mühsam und von Skepsis getränkt wieder mit freiheitlicher Kunst aufgeforstet werden konnte. In der Musik unterstützte ne­ben vielen anderen auch Hans Werner Henze prägend den Neubeginn, der als Komponist der Moderne jedoch nicht auf traditionelle Formen und Inhalte gänzlich verzichten wollte. Dass er un­ter Neu­beginn auch einen Rückgriff auf (literarisch) überlieferte Konventionen verstand, nahmen ihm Ende der 1950er Jahre einige Kollegen übel, die einer ästhetischen Veränderung folgten.
Denn die Vertonung von Friedrich Hölderlins Spätwerk In lieblicher Bläue, das Hans Werner Henze unter dem Titel Kammermusik 1958 in eben diesem Jahr veröffentlichte, bewegt sich nur sporadisch in den Wandelhallen der neuen Musik. Henze transportiert die romantische, gleichwohl als verwirrt eingestufte Lyrik des leidenden Dichters in einen Zyklus, in dem die Gitarre (Maximilian Mangold) in einem lichtdurchfluteten Bogen von der Stille zwischen den Strophen in die manchmal auch aufgeregt wirkende Komposition hinüberführt («Tento I – III»). Einem Ricercar ähnlich, verbindet die Gitarre die Vokal- und Instrumentalsätze mit spanisch motivierten Soloparts. Die fast sinfonische Eröffnung des Stücks gleitet in die klare Gesangspassage (Clemens C. Löschmann) der ersten Gedichtstrophe hinüber, das Auf und Ab zwischen Männerstimme und Instrumentarium hält die von Beginn an hochklassige Spannung aufrecht.
Vor dieser Hölderlin-Verneigung komponierte Henze 1948/49 in Göttingen mit Apollo et Hyazinthus ein etwa 18-minütiges Werk von luftiger Transparenz, obwohl es eindeutig der Zwölf­tontechnik zugeneigt ist. Auf das Gedicht Im Park von Georg Trakl setzte Henze ein vom Cembalo (Jan Croonen­broeck) geprägtes, kammermusikalisch gefärbtes Klangfeld, das zusätzlich von acht Instrumenten (Flöte, Klarinet­te, Fagott, Horn, zwei Violinen, Viola, Violoncello) getragen wird.
Das dritte Musikstück der CD komponierte Henze 1982, nachdem er kurz zuvor die Oper Die englische Katze vollendet hatte. Hier stehen deshalb drei Bratschen im Zentrum, weil die Canzona für einen in Stuttgart stattfindenden Viola-Kongress geschrieben wurde: Das kurze (etwa sieben Minuten lange) Stück wird in der Besetzung für sieben Instrumente aufgeführt. Die Canzona enthält deutliche Hinweise auf eine nahezu theatralische Interpretation, bewegt sich überraschend eher in die Musikgeschichte zurück, als dass sie der Moderne die Hand reicht.

Klaus Hübner