Cage, John

Indeterminacy / Solo for Piano / Fontana Mix

Verlag/Label: Oehms Classics OC 855
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Diese CD ist Remake und Premiere gleichermaßen. Sie ist ein Remake jenes Doppelalbums, das John Cage gemeinsam mit David Tudor 1959 aufnahm. Damals bestand es aus der parallelen Wiedergabe von Cages eigener elektronischer Realisation von Fontana Mix – aufgenommen 1958 im Mailänder Studio di Fonologia – sowie David Tudors Version von Solo für Piano (aus Cages Concert for Piano and Orchestra) und Cages Vortrag kurzer Texte, die er zu Teilen später unter der Überschrift Indeterminacy veröffentlichte. Der vollständige Titel des damaligen Albums bei dem Label Folkways war John Cage/ Reading; David Tudor / Music. Indeterminacy: New Aspect of Form in Instrumental and Electronic Music.
Hier nun haben wir: Joachim Król, Rezitation; Susanne Kessel, Klavier, und, was eine ebenso originelle wie schlüssige Idee ist, Cages originale Fontana Mix-Bänder von 1958. Einige Unterschiede gibt es gleichwohl: Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Cage auch nach 1959 fortfuhr, kurze Text-Episoden zu verfassen, wurde die Auswahl ausgedehnt auf seine spätere Textsammlung How to kick, pass, fall, and run. Insgesamt wurden für die siebzig Minuten und 53 Sekunden dauernde CD 69 Episoden ausgewählt. Jede ist – gemäß Cages Anweisung – innerhalb einer Minute zu lesen, so dass je nach Länge der Texte die Lesegeschwindigkeit variiert. Cage seinerseits hatte für seine Aufnahme neunzig Episoden ausgewählt. Die vorliegende Aufnahme ist also insgesamt kürzer. Im Vergleich zur Aufnahme von 1959 zeitlich verringert sind demnach ebenfalls die ausgewählten Fontana Mix-Ausschnitte sowie Susanne Kessels Ausarbeitung des Solo for Piano. Letzteres ist im Rahmen von Cages «Klavierkonzert» problemlos möglich, da der Solist eine freie Auswahl der zur Verfügung stehenden 63 Notenblätter treffen kann.
Text- und Klavierstimme der vorliegenden Aufnahme wurden unabhängig voneinander aufgenommen und schließlich «nach einem von Susanne Kessel erstellten Zufallsverfahren» (Book­let) übereinandergelegt. Ebenfalls nach ei­nem Zufallsverfahren angeordnet wurde die Reihenfolge der Texte. Leider verrät das Booklet nicht, mit welchem Zufallsverfahren gearbeitet wurde. Wurde mit dem I Ging bzw. mit Münzen gearbeitet? Angesichts der unklaren Definition des Begriffs «Zufallsverfahren» würde man sich hier für zukünftige Cage-Einspielungen konkretere Angaben wünschen.
Davon unberührt gelingt Susanne Kessel und Schauspieler Joachim Król (Tonmeister: Stephan Schmidt) allerdings eine außergewöhnliche CD, die zugleich auch die Premiere von diesen Texten in deutscher Sprache ist (Übersetzung: Martin Erdmann). Kessels Version des Solo for Piano klingt ebenso reichhaltig überzeugend wie auch Króls Rezitation, die in ihrem nüchternen, klaren – ja, fast möchte man sagen: gleichgültigen – Duktus genau die Lesart trifft, die Cage vorschwebte: «in the manner … that one reads newspapers … so purposelessly» (in der Art … in der man Zeitungen liest … so absichtslos).

Thomas M. Maier