Bauckholt, Carola

Instinkt

Verlag/Label: Coviello COV 60916
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/01 , Seite 84

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

 

Das Wesen des «Klangs» plastisch zu ergründen, ihn in all seinen Dimensionen auszuloten und im haptischen Sinne als «Rohstoff» zu begreifen, ist ein zentrales Merkmal in der künstlerischen Arbeit von Carola Bauckholt. Dafür lässt sich die 1959 in Krefeld geborene Komponistin, die von 1978 bis 1984 Schülerin von Mauricio Kagel in Köln war, auch von außermusikalischen Vorstellungen anregen – was auf ihrer neuen CD Instinkt, die sechs Stücke aus den letzten zehn Jahren vereint, eindringlich nachzuvollziehen ist. Rollende Kugeln etwa waren der Ausgangspunkt für Kugel für drei Violoncelli und Zuspiel (2002), in dem sich konkrete Geräusche und deren instrumentale Abstraktion zu einem bizarren Spannungsfeld formieren.
Dass auch Reibe- und Kurbel­geräusche Bauckholts schöpferische Fantasie beflügeln, ist ihrem Cellotrio (2002) und den Geräuschtönen (2003) für Violine, Violoncello und Schlagzeug abzulauschen. In Letzterem spürte sie in Umwertung der Werte nicht dem Geräuschanteil im Ton, sondern dem «Ton» im Geräusch nach; die Instrumente zielen akribisch auf Imitation des ursprünglichen Geräuschs, können aber das Vorbild nicht erreichen, woraus ein besonderer klanglicher Reiz resultiert. Die Klänge treten für sich selbst ein, aus welchen Inspira­tionsquellen sie auch immer gespeist werden. Bauckholt verschweigt die Herkunft der Geräusche nicht, betont aber als maßgebliches Kriterium deren Materialcharakter.
Es liegt auf der Hand, dass dieser Ansatz auf die uneingeschränkte Mitwirkung und Experimentierfreudigkeit der Interpreten angewiesen ist. Mit dem von ihr selbst mitgegründeten Thürmchen Ensemble und dem Cellotrio «blu» weiß Bauckholt hochkonzentrierte Sachwalter ihrer Musik an ihrer Seite, und auch die Schola Heidelberg taucht unter der Leitung von Walter Nußbaum gleichermaßen lustvoll und technisch versiert in ihre Vokalwerke und deren spezifische Anforderungen ein.
In Nein allein (1999/2000) für Stimmen gelingt mühelos die Gratwanderung zwischen klanglich-akustischer und semantischer Ebene, werden durch Sprachklang transportierte Emotionen ebenso spielerisch wie hintergründig musikalisiert; bis zum augenzwinkernden Schluss, der Appetit auf «Mirabellenkompott» und «Gemüseauflauf» macht. Höhepunkt der CD ist jedoch das Titelstück Instinkt (2007/08). Darin fokussierte Bauckholt den wundersamen Gesang von Schlittenhunden, erweitert um Polarfuchs, Wale und Seelöwen – mit den Vokalisten der Schola Heidelberg als kongenialen Interpreten, von sonorem Stimmknarren bis zu emphatischen Aufschwüngen. Selten kommt «Neue Musik» so unverkrampft und so betörend sinnlich daher, ohne im Geringsten plakativ zu sein.

Egbert Hiller