Schweitzer, Benjamin

Kammermusik

Verlag/Label: WERGO WER 67532
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/02 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Die vorliegende CD porträtiert den Komponisten Benjamin Schweitzer in einer entscheidenden Schaffensphase. Alle hier kompilierten Werke entstanden zwischen 2005 und 2008 und geben einen Überblick über die Verdichtung seines kompositorischen Vokabulars, das sich auf kleinstem Raum stetig weiter ausdifferenziert – oder besser: filigran verästelt.
Konsequenterweise stammt das älteste hier vertretene Werk aus Schweitzers Kammeroper «Dafne» (2005). Abgesang ist unmittelbar nach Dafnes Verwandlung in einen Lorbeerbaum zu verorten und liegt hier in zwei Versionen vor, die die Situation auf unterschiedliche Weise schildern. In der ersten Version teilt Schweitzer den ohnehin fragmentierten Text auf zwei Sängerinnen auf und lässt die Silben im sich nun auftuenden Raum zergehen, in den spärlichen Klängen des Ensembles verschwinden oder sie davon überlagern, während die Musik zaghaft die neue Identität zu ertasten scheint. Die vollzogene Metamorphose wird als Unfähigkeit zur Artikulation in gewohnten Parametern erlebbar und erzwingt eine neue «Sprache»: Die Solo-Version stellt der Sängerin eine Klarinette zur Seite, die als Holzblasinstrument die zwar wortlose, doch nicht minder zum Ausdruck befähigte verwandelte Dafne symbolisiert. Vorher und Nachher sind gleichzeitig anwesend und durch musikalische Engführung ein letztes Mal vereint.
Über «Anfänge/Netze (Malbork II)» (2006), «entschlackt» (2006/07) und «achteinhalb» (2007) lässt sich die Tendenz zur kompositorischen Verdichtung an im­mer neuen Parametern beobachten. «An­fänge/Netze» meditiert über die Modalität musikalischer Anfänge und dekliniert eine Reihe von Möglichkeiten durch, in denen diese mehr oder weniger mit Kontinuität brechen oder sie in sich aufnehmen. Das zweiteilige «entschlackt» lässt durch vielfältige Kombination und Transformation sparsam gewählter musikalischer Elemente den Eindruck von Entwicklung entstehen, verzichtet aber seinem Titel gemäß zugunsten der Fokussierung auf kleinste Bewegungen und deren strukturelles Ausloten auf den Ballast etablierter Formen.
Das Bläsertrio «dull roots & spring rain» von 2008 schließlich ist die jüngste hier vorliegende Komposition Schweitzers. Seine karge und reduzierte Klangsprache manifestiert sich als radikale Einschränkung der Ausdrucksmittel zum Zwecke eines forcierten, konzentrierten Ausdrucks. Melodische Elemente sind ausgeklammert, wenige Klänge und Texturen werden in ihren feinsten Nuancen erforscht. Zum spezifischen Klangbild trägt bei, dass als Tonraum fast ausschließlich die eingestrichene Oktave zur Verfügung steht, die Instrumente also immer in ihren Randlagen spielen müssen. Dementsprechend ist die Dynamik durchgehend piano, während sich im Kleinen noch einmal die großformale Entwicklung der CD vollzieht: das Vergrößern bestimmter Areale der musikalischen Parameter, bis nur noch ihre innersten Strukturen das Ma­terial stellen. An dieser Stelle machen sensible Klangverschiebungen und -be­wegungen auf engstem Raum das Werk zu Kammermusik im spannendsten Sinn des Wortes. Titus Engel und das wunderbar agierende Dresdner Ensemble Courage, das Benjamin Schweitzer einst selbst gründete, interpretieren jede einzelne dieser Feinheiten mit absoluter Präzision und forschender Spielfreude.

Patrick Klingenschmitt