Blonk, Jaap

Keynote Dialogues

Verlag/Label: Monotype Records, mono053
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 85

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Keynote Dialogues ist das erste Solo­album des holländischen Soundpoeten und Stimmakrobaten Jaap Blonk seit Averschuw von 2001 und erscheint auf dem polnischen Monotype Records-Label. Die 13 Stücke festigen Blonks Ruf als virtuoser Sprachartist, der mit immer wieder neu konstruierten Buch­stabenadditionen und -konstellationen die Grenzen zwischen Sprechkunst und avantgardistischen Klangexperimenten aufhebt. Jaap Blonk zeigt, was die menschliche Stimme außer der uns bekannten Sprache(n) produzieren kann. Der vom Dadaismus inspirierte Künstler, der als Autodidakt begann, besetzt seit Langem eine herausragende Position innerhalb der Avantgarde und entwickelte während seiner jahrzehntelangen Tätigkeit ein nahezu eigenständiges Universum aus Sprache und Musik.
Die Stimme und das Geräusch – bei Jaap Blonk eine untrennbare Kombination, in der er eine wahre Meisterschaft entwickelte. Geradezu unanständig breitet sich in Buitenboordspuug ein Geräuschpegel aus, der aus seinem Mund ungefiltert den Weg ins Ohr des Hörers findet. Dieses an gewisse Körperreaktionen erinnernde Geräusch va­riiert Blonk in einem mehrspurigen Verfahren und verwendet dazu die selbst entwickelte «cheek.synthesizer»-Technik: strukturierte Klänge aus der Backe. Das entstehende Geräusch entfacht einen zunehmenden Sturm feuchter Luftblasen, die durch das Multitrack-Verfahren in einem Rausch enden. Das fast 13 Minuten lange Cimbrod King (Anagramm des englischen mockingbird = Nachtigall) entwickelte Blonk aus dem Anagrammpoem Glopvoets, in dem er neben dem Vogelnamen im Titel (holländisch spotvogel = Gelbspötter) weitere 16 Vogelnamen-Anagramme in eine imaginäre Vogelschar verformte: Der Vogel «Moerpoebip» heißt richtig geschrieben «Boompieper» (Baum­pie­per). Außerdem verarbeitete Blonk den Gesang der Nachtigall als Klangbeispiel, mit dem er das geflüstert rezitierte Gedicht garnierte.
Die am Holländischen ausgeprägte, von ihm erfundene Sprache «GeenKrimpian» (neben «Onderland» und «IngleTwist») gestaltet Blonk in Keynote Dialogues über frei improvisierte Klaviermusik mit dem Wort «Puhkterg» zu einem Lang-Zeit-Gedicht, dessen lautmalerische Verzierungen den Klang des Klaviers teils konterkarieren, teils kommentieren. Wie ein stilistischer Bruch wirkt der folgende Featherwater River, ein an fernöstliches Klangmaterial erinnerndes Instrumentalstück, das Blonk dem chinesischen Philosophen und Dichter Zhuangzi widmete. Daysyways wirkt wie ein zerrissener, in den Skalen verschobener Blues, dessen Steelgitarren-Sound tastend und suchend zu den Quellen zurückkehren möchte.
Wenn Jaap Blonk nicht brüllt, prustet oder kauderwelscht, gestaltet er wie in Lone Sphere außergewöhnlich spannende Musik für Klavier. Dieses dem großen Jazzmusiker Thelonious Monk gewidmete Stück bricht mit dem, wo­mit schon Monk gebrochen hat: mit den davongaloppierenden Tempi des Bebop. Blonk ruht sich in Dissonanzen aus, die das Wortspiel aus «lone» (einsam) und «sphere» (Welt, Gestirne) zwingend herausfordert. «Sphere» fügte Thelonious Monk seinem Namen hinzu: Angeblich hatte er diesen Beinamen, der auf seinen Großvater Sphere Batts zurückgeht, schon bei der Taufe erhalten. Hinter dem Horizont der Atmo-Sphäre hört Jaap Blonk insgesamt den Klängen und Geräuschen nach, die üblicherweise als Abfall übersehen werden. Durch ihn wird eine spannungs- und überraschungsreiche Welt erst hörbar gemacht.

Klaus Hübner