Smutny, Daniel

Klaviersonate / Symphonie / Divertimento di «Ferne Nähe» / Streichquartett / Velouria (II)

Verlag/Label: WERGO Edition Zeitgenössische Musik des Deutschen Musikrats, WER 65862
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/02 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Zu leicht, der Musik Daniel Smutnys ein regressives Moment zu unterstellen. Tonales muss man bei ihm nicht suchen – es drängt sich quasi auf. Auch satt Romantisches kommt im Schaffen des 1976 in Mannheim Geborenenen immer wieder vor – seien es die virtuosen Elemente à la Rachmaninow und Chopin in der Klaviersonate von 2011 oder die düster-schweren Orchesterpassagen à la Bruckner oder Liszt in der Symphonie von 2012. Ist Smutnys Mu­sik also bloß eine – heutzutage so oft im Pejorativen beschriebene – «Ausdrucksmusik»? Oder bloß eine neoromantische Inauguration verbrauchter Kompositionsmittel unter der munter flatternden Fahne der Postmoderne?
Beides keineswegs! Beide Vermutungen zielen ins Leere schon deshalb, weil der Ausdruck so merkwürdig verschroben ist. Smutny scheint es ganz ernst zu meinen mit seiner seltsamen Form der Tonalität und seinen höchst originellen Reihungen, die ihren Sinn erst dann offenbaren, wenn man sich unter die Oberfläche oder besser: nicht an der Außen-, sondern der Innenseite des Klangs bewegt. Am Ende der Symphonie taucht ein markant ostinater Rhythmus auf, farbig vorangetrieben durch verschiedene Kombinationen der Instrumente. Es folgen Streicherkantilenen, dann wächst der vorangegangene Beat wieder aus dem orchestralen Dickicht hervor und führt erneut sein seltsames Eigenleben. Wieder ein Bruch. Ein tiefer Klavierton setzt schließlich den letzten Akzent – einen, in den alles Vorangegangene zu münden scheint, einen, der in seiner logischen Konsequenz etwas Unerbittliches hat.
Vermutlich ist es solch stringente
– und schwer zu beweisende – musikalische Logik, die einen Teil des besonderen Tons bedingt. Hinzu kommt die seltsame Reibung zwischen Romantizismen einerseits und diesem so ganz unsentimentalen objektiven Ges­tus andererseits. In seinem hervorragenden Booklettext spricht Hans-Peter Jahn von «Trümmerlandschaften», die «trotz der Verwüstung die Facetten ihrer einstigen Kostbarkeit» zeigen. Smutny sei «der Baumeister, der aus Torsi und aus bemoostem Stein neue Skulpturen errichtet». Solche Worte treffen das «Phänomen» Smutny weit besser als irgendwelche Mutmaßungen über (Neo-) Tonalität oder (vermeintliche) Regression. Aber trotz aller virtuoser Musikdeutung bleibt ein Rest, etwas Unauflösliches, das sich besonders im «Divertimento di ‹Ferne Nähe›» (2011) oder im ersten Satz des Streichquartetts mit den Zitaten aus dem Beethoven’schen Spätwerk zeigt. Selten hat man in den letzten Jahren solch einen Ton vernommen – es ist ein herrlich entspannter, ein witziger, manchmal auch koketter, aber auf jeden Fall kein verbrauchter!

Torsten Möller