Eötvös, Peter

Kosmos

Verlag/Label: WERGO WER 67842
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 86

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Peter Eötvös ist 17 Jahre alt, als der russische Astronaut Juri Alexejewitsch Gagarin sich auf seinen Weltraumflug vorbereitet. Ein Ereignis, das den ungarischen Teenager fasziniert und starken Einfluss auf seine Musik ausübt. In Eötvös’ Stück Kosmos für zwei Klaviere wird diese Faszination in Form einer akustischen Allegorie deutlich. Die Interpreten bewegen sich durch ein musikalisches System, das ihnen diverse Entscheidungsfreiheiten einräumt. Bis auf den Anfang und das Ende – Stationen, die genau determiniert sind – müssen die Pianisten ihren eigenen Weg durch die Komposition finden. Das bedeutet, dass sie die im Notentext verankerten Ereignisse nicht synchron in Relation zueinander wiedergeben müssen. Im Gegenteil, Abweichungen und Unschärfen sind erwünscht.
Wie aus dem informativen Begleittext der CD deutlich wird, bezeichnet Eötvös den Umgang der Musiker mit den von ihnen geschaffenen Unstimmigkeiten als «gegenseitige Anziehungskraft» und öffnet damit einen Assoziationsraum zu physikalischen Kräften, die im Milieu der Astronautik von gravierender Signifikanz sind: Es scheint, als höre man in der Musik Momente von Schwerkraft und Schwerelosigkeit. Eine Beobachtung, die durch den Sound des Stücks bestätigt wird. Mal verdichtet sich die Musik zu alles zermalmenden Gravitationskräften, um im nächsten Augenblick mit leichter und gewichtsloser Akrobatik zu begeistern. In diesen Momenten erinnert die Komposition ein wenig an Béla Bartóks Klavierzyklus Mikrokosmos, eine Verbindung, die auch im Titel des Stücks anklingt.
Eröffnet wird die CD, die Kompositionen für zwei Klaviere und Schlagzeug umfasst, von dem fünfteiligen Werk Sonata per sei. Auch in der Sonate klingt Bartóks Einfluss an, manch energischer Klavierlauf erinnert an die Handschrift des ungarischen Komponisten, dem der vierte Teil, «Bartók überquert den Ozean», gewidmet ist. Auf der Flucht vor den Nazis musste Bartók nach Amerika emigrieren. Die Ängste und Ungewissheiten dieser Reise und des Lebens in New York hat Eötvös musikalisch versinnbildlicht. Ein auffälliges Merkmal der Komposition ist das Sampler-Keyboard, das Klavier und Schlagzeug begleitet. Leider ist die Auswahl des gesampelten Materials nicht sehr geglückt. Es klingt sehr steril, wobei im gezielten Abheben vom analogen Instrumentarium auch eine künstlerische Qualität zu erkennen ist. Es ließe sich womöglich von Reibungen sprechen, die so in das Stück integriert werden. Zu­dem erinnert die Klanglichkeit der Samples an Fusion-Jazz-Stücke, wie sie zum Beispiel bei dem Gitarristen Allan Holdsworth zu hören sind – ein obsoleter Sound.
Dass Peter Eötvös auch ein offenes Ohr für Sounds zwischen Jazz und Pop hat, wird in dem Stück Psalm 151 deutlich, das Frank Zappa gewidmet ist. Der Tod des Musikers und Unterhalters bestimmt die Komposition – ein sinnloser Tod, der Eötvös damals mit Wut erfüllte. Das Stück ist ein musikalischer Protest, vorgetragen von Röhrenglocken, Klangplatten und Buckelgongs. Ein Instrumentarium, mit dem der Komponist eine unheimliche Klangwelt von einschüchternder Schönheit erschafft.

Raphael Smarzoch