Jacob, Andreas / Kampe, Gordon (Hg.)

Kulturelles Handeln im transkulturellen Raum

Symposionsbericht Kulturhauptstadt RUHR 2010 (= Folkwang Studien, Band 13)

Verlag/Label: Georg Olms, Hildesheim 2014, 366 Seiten, mit DVD
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 94

«Der Pott kocht» – so heißt es «vor Ort». Politiker benutzen gern den Slogan, in Eckkneipen wie in Kulturkreisen ist er zu hören. Den Komponisten Nicolaus A. Huber zog es schon in den 1960er Jahren ins Ruhrgebiet. Vom satten München kam er in eine Region, die (noch) geprägt war von Maloche, vom Geruch von Kohle wie Stahl. Als Huber aus politischen Motiven nach Essen umsiedelte, gab es da schon Kulturen, die nur schwer auf einen Nenner zu bringen sind: hier die Bergarbeiterchöre, da die Musik der Einwanderer, hier Schrebergarten, dort Konzerthaus. Angesichts solch pluraler wie polarer Sphären spricht Andreas Jacob, mit Gordon Kampe Herausgeber des Symposiumsberichts Kulturelles Handeln im transkulturellen Raum, zu Recht von einer Region, «die ebenso vielfältige wie manchmal diffus bis schrundig wirkende Momente bereithält».
Für den Kultur- und Musiksoziologen ist so etwas ein inspirierendes Untersuchungsfeld. Auch für den Leser des gut lektorierten Sammelbandes ist es sehr aufschlussreich zu erfahren, dass es tatsächlich einen «Ko­reanischen Mutterchor Duisburg» gibt oder dass zu Hochzeitsfesten marokkanischer Minderheiten des Ruhrgebiets eine bunte Gemengelage tönt von in Marokko verbreiteter Folklore über Pop bis hin zu Rap. Selbst innerhalb geschlossen scheinender Gruppen sind Stilistiken also keinesfalls homogen.
Nicht nur Phänomene des von Wolfgang Welsch adaptierten und zuweilen überpointierten Begriffs der Transkulturalität kommen in dem im Rahmen der «Folkwang Studien» erschienenen Band zur Sprache. Stefan Drees übt berechtigterweise Kritik an den großen Leuchtturm-Projekten im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010. Stattdessen beschäftigt er sich mit der Eichbaumoper, einem kleinen, durchaus charmanten Versuch, Oper im öffentlichen Raum zu realisieren.
Gordon Kampe nennt seinen konzisen Beitrag «Neue Musik als Medium gesellschaftlicher Bildung» und bezieht sich, ausgehend von Nicolaus A. Huber und der Nutzung ehemaliger Industrieanlagen als Konzertraum, auf viel zitierte Vermittlungsbestrebungen Neuer Musik. Aktivitäten des Essener Netzwerks Neue Musik thematisiert Kampe ebenso wie die besondere Bedeutung des Events, die sich drastisch offenbart, wenn im Rahmen der RuhrTriennale 2009 für Schönbergs Moses und Aron in der Bochumer Jahrhunderthalle «schwerlich» Eintrittskarten zu bekommen waren, während bei einer Aufführung der Gurrelieder in der Essener Philharmonie die Rän­ge  «pein­lich leer» blieben.
Ein Symposiumsbericht ist kein Roman. Doch die Lektüre in einem Rutsch macht diesmal Sinn. Sämtliche Aufsätze, unter ihnen auch Erörterungen über die Sozialgeschichte oder die neuere wie ältere Architektur des Ruhrgebiets, sind kurzweilig und ergeben ein faszinierendes Bild einer Region, die letztlich weit mehr bietet als – schon das ist mitunter nicht zu unterschätzen! – Pommes rot-weiß oder Schalke mit Bier.

Torsten Möller