Strawinsky, Igor

L’ histoire du soldat

Choreografie von Jiri Kilián, Nederlands Dans Theater 1988

Verlag/Label: Arthaus 108 134 (Blu-Ray) | 51 min.
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 83

Wie spannend ein Bildtonträger heute aufgemacht werden kann, zeigt eine Veröffentlichung von Strawinskys «Geschichte vom Soldaten» in einer Inszenierung von 1988 durch Jiri Kilián, den damaligen Choreografen des Nederlands Dans Theater. Auch hier gab es Koproduzenten; genannt werden der Prins Bernhards Fonds und das Schwedische Fernsehen. Doch die für das Endprodukt Verantwortlichen, RM Arts und das Nederlands Dans Theater, haben einen ganz anderen Zugriff auf den Stoff. Als erstes, noch vor dem Titelmenü, wird man mit einem kurzen Clip aus einer Bühnenproduktion von Kiliáns Truppe mit japanischen Musikern konfrontiert – ein hinreißender Appetizer für das Kommende. Das Titelmenü wird sodann unterlegt mit einigen Zeilen aus dem scharf rhythmisierten Sprechpart des Teufels, dazu erblickt man in einem kleinen Fenster die zugehörige Szene. Ohne jegliche Erklärung weiß man schon intuitiv, was einen erwartet. Die Neugierde ist geweckt.
Die Story selbst wird von den Tänzern mit akrobatischer, musikgenauer Präzision erzählt. Kiliáns akribisch einstudierte, temporeiche Bewegungsabläufe produzieren Mo­mente von burlesker Komik. Damit macht er am Stück die scharfkantigen Umrisse eines Jahrmarkt- und Kasperletheaters sichtbar, was seinem Ursprung ja durchaus nahekommt.
Die Bühne ist kahl, wenige zeichenhafte Requisiten werden wie mit Zauberhand eingeführt und verschwinden wieder, in den erzählenden Partien werden gelegentlich Einsprengsel von realistischen Geräuschen zugespielt. Die Videoregie von Tor­björn Ehrnvall ist auf die Choreografie perfekt abgestimmt und wird in den dramatisch entscheidenden Momenten zu einem ebenbürtigen Teil der Inszenierung – Bühnen- und Medienrealität verschwimmen. Ein Effekt, der mit den neuen digitalen Werkzeugen für Aufnahme und Postproduktion möglich geworden ist und der viele heutige Ballett- und Tanzfilme auszeichnet. Insgesamt ein vor Ideen sprühender, tänzerisch brillanter und aufnahmetechnisch tadellos gemachter Film, der mit dem spektakulär inzenierten Absturz des Soldaten in die Hölle endet. Nur eine Fra­ge lässt er offen: Wo bleibt der zu diesem Schluss gehörende «Marche du diable»?