Hosokawa, Toshio

Landscapes

Landscape V | Ceremonial Dance | Sakura für Otto Tomek | Cloud and Light

Verlag/Label: ECM New Series 2095
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/01 , Seite 84

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 1

Der Japaner Toshio Hosokawa gehört zu jenen Komponisten, die der globalen neuen Musik regionale Farben hinzufügen und sich dabei von einheimischen Musizier-Traditionen leiten lassen. Insbesondere die japanische Mundorgel Sho (die er selbst zu spielen versteht) hat es Hosokawa angetan. Sie steht im Zentrum der vorliegenden CD-Neuerscheinung, denn ihr ätherischer Klang inspirierte fast alle Werke, die auf der CD dokumentiert sind. Von geradezu magischer Wirkung ist der solistische Auftritt des von Mayumi Miyata gespielten Instruments in Hosokawas Komposition «Sakura», die vom Bild der japanischen Kirschblütenzeit angeregt wurde. Dieser Frühling in Tönen ist freilich keiner, in dem die Knospen platzen, sondern ein stilles, heimliches Geschehen. Charakteristisch für die Sho ist die Crescendo-Diminuendo-Struktur ihrer Klänge. Vom fast Unhörbaren aus beginnen die in hohen Registern angesiedelten hellen Töne oder Intervalle zu wachsen, Gestalt und Körper an­zunehmen, bevor sie wieder sanft entschweben.
Der Klang der Mundorgel bleibt auch dort die Grundfarbe der Musik, wo zur Sho die von Alexander Liebreich geleiteten Streicher des Münchener Kammerorchesters hinzutreten. Die­se zwei instrumentalen Ebenen, welche sich in Hosokawas «Landscape V» begegnen, lassen sich wie eine Spiegelung des Himmels im Wasser begreifen. Der Streicherklang verwandelt sich dem der Mundorgel an und wirft sein Bild in hellen Farben zurück. Doch allmählich setzt das Orchester auch eigene Impulse: Die Wogen beginnen sich zu kräuseln; das Spiegelbild des Himmels gerät in Bewegung und bricht.
Als Naturschilderung will auch Hosokawas Komposition «Cloud and Light» verstanden werden, welche gegenüber «Landscape V» die orchestralen Mittel nochmals erweitert und zu Sho und Streichern zunächst kleine japanische Glöckchen hinzutreten lässt, später auch die schwereren, erdigen Farben von Blechbläsern. Das Flimmern und Funkeln der Luft, die Entstehung von Wolken und die schnelle Metamorphose ihrer Formen finden ihr Abbild in der Musik. Was luftig leicht und gespinstartig beginnt, pulsiert und fluktuiert, erhält später auch bedrohliche Verfinsterungen, so, als wollten Gewitter aufziehen.
Auf die Sho verzichtet dagegen Hosokawas «Ceremonial Dance», doch ist dieser nicht weniger von japanischer Kultur, speziell dem höfischen Gagaku inspiriert. «Ceremonial Dance» handelt vom Wechsel zwischen Gravitationskräften, die den Tänzer am Boden haften lassen, und Gegenimpulsen des Abhebens und Schwebens. So erfreulich die musikalische Seite dieser Neuerscheinung ausfällt, so wenig leuchtet es ein, dass das Booklet zur CD nur einen englischsprachigen Text bietet, und das, obwohl die Aufnahmen der einzelnen Stücke in München entstanden und auch für den deutschen Markt bestimmt sind.

Gerhard Dietel