Sciarrino, Salvatore

Luci mie traditrici

Eine Produktion von Cantiere d’Arte di Montepulciano und Oper Frankfurt | 69 min. plus 33 min. Bonusmaterial

Verlag/Label: EuroArts 2059038
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/02 , Seite 78

Salvatore Sciarrinos Zweiakter «Luci mie traditrici», ein Kammerspiel, das von Liebe und Tod, Schuld und Leidenschaft handelt, hat alle Eigenschaften eines musiktheatralischen Thrillers. Es basiert auf einer wahren Gegebenheit aus dem Jahr 1590, dem Eifersuchtsmord des Fürsten Gesualdo di Venosa an seiner Frau und deren Liebhaber. Der Verlauf des knapp siebzigminütigen Stücks ist ganz auf den Höhe- und Schlusspunkt, den Moment des Mordes, ausgerichtet. Er ist die einzige Bühnenhandlung im Stück, und was davor passiert, spielt sich ausschließlich in den Dialogen ab. Die für Sciarrino charakteristischen leisen Wisper- und Mur­melklänge erzeugen dazu eine klangliche Atmosphäre, die sich im Verlauf des Stücks zu einer unerträglichen Spannung verdichtet. In der finalen Aktion kommt es dann zur Explosion.
Auf der Opern- und auch auf der Konzertbühne hat das Stück schon mehrfach seine hohe Faszinationskraft demonstriert, und nun ist es in einem Live-Mitschnitt vom Cantiere Internazionale d’Arte, dem kleinen, 1976 von Hans Werner Henze gegründeten Musikfestival in Montepulciano, auf DVD herausgekommen, eine Koproduktion mit der Oper Frankfurt. Die Verpflanzung ins audiovisuelle Medium hat tiefgreifende Konsequenzen für das Erscheinungsbild des Werks. Im Theater, wo man nur den Blick auf die Bühnentotale hat, kommt vor allem der atmosphärische und rituelle Aspekt dieses Kammerspiels zur Geltung, während der Film den Darstellern nahe auf den Leib rücken und ihre Mimik und ihre Gesten genau protokollieren kann. Das erhöht die psychologische Spannung auf Kosten des Unausgesprochenen, das sich hinter den Metaphern und Andeutungen des Textes verbirgt und in der Musik umso sugges­tiver zum Ausdruck kommt.
Die Verlagerung gilt auch für diese mit einfachen Mitteln – einer Kamera und zwei Audiokanälen – gemachte Aufnahme. Nahaufnahmen dominieren, sodass die psychologischen Vorgänge konturenscharf ins Licht gerückt werden – beim Mann das Schwanken zwischen Leidenschaft und kalt kalkulierter Mordabsicht, bei der Frau die sphinxhafte Mischung von Sinnlichkeit, falscher Liebesbeteuerung und Todesahnung. Nina Tarandek und Christian Miedl spielen die ganze Skala an Affekten gekonnt aus; Simon Bode ist als Diener ein profilierter Charakterdarsteller, Roland Schneider gibt mit hohem Tenor den verliebten Rivalen.
Obwohl mit Marco Angius ein ausgewiesener Sciarrino-Kenner am Pult steht, geht in der Filmfassung das Atmosphärische, Zeremonielle von Musik und Text weitgehend verloren. Das hängt mit dem Verlust des realen Klangraums zusammen und mit der Abmischung, die den Instrumentalklang oft auf ein Präsenz­niveau hebt, das mit der Lautstärke der Singstimmen konkurriert; damit kehrt die Mu­sik eine kantig-aggressive, dramatisch geschärfte Seite hervor. Das ist indes wie der visuelle Realismus den Vorgaben des Mediums geschuldet: Ein Dauerpiano im Lautsprecher geriete zu einem blassen Soundtrack des dominierenden Bildes.
In den abstrakten Räumen des Bühnenbildes wird etwas von der Kunst der Andeutung sichtbar, die Musik und Text auszeichnet; das harte Spiel von Licht und Schatten ist hingegen ganz auf vordergründige Spannung ausgerichtet. Wenig bildschirmfreundlich sind die vielen Passagen im Halb- und Dreivierteldunkel. Der Regisseur Christian Pade konzentriert sich ganz auf das Gesten- und Mienenspiel der Protagonisten und spielt gekonnt mit der mehrdeutigen Symbolik des als Haupt­requisit eingesetzten Fächers. Der Regieeinfall, dass der Eifersuchtsmörder den Diener, der Zeuge des Ehebruchs war, als erstes töten soll, geht aber leider daneben. Ihn erst zu erstechen und dann aufzufordern, die Schlafzimmertür der Frau zu öffnen («Nehmt diesen Schlüssel und öffnet leise»), ist bester Theater-Slapstick.
Aus den Einwänden lässt sich die Frage herauslesen, ob «Luci mie traditrici» eigentlich bildschirmtauglich ist und, verallgemeinert, ob es überhaupt Werke gibt, die sich aufgrund ihrer Machart und Ästhetik grundsätzlich gegen eine Verfilmung sperren. Das mag zutreffen, wenn man sich sklavisch an die Bühnenästhetik hält. Doch wenn in der Darstellung nach filmischen Äquivalenten zur Theaterregie gesucht wird, kann daraus auch etwas völlig Neues entstehen. Die vorliegende Aufzeichnung weist trotz einiger Schwächen, die nicht überbewertet werden sollten, den Weg, wie so etwas geschehen könnte.

Max Nyffeler