Sciarrino, Salvatore

Macbeth – Tre atti senza nome

Verlag/Label: col legno WWE 2 CD 20404
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/06 , Seite 78

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Shakespeares Macbeth auf die Opernbühne zu bringen: dazu fühlten sich mehrere Komponisten herausgefordert. Verdis dramatisch zupackender Version aus dem 19. Jahrhundert folgten im 20. Bühnenadaptionen des Stoffs durch Ernest Bloch und Antonio Bibalo. Vor zehn Jahren hatte eine weitere musiktheatralische Umsetzung von Shakespeares Schauspiel Premiere: In Schwetzingen wurde Salvatore Sciarrinos nach eigenem Libretto verfasster Macbeth uraufgeführt. Keine Neuinszenierung, aber wenigstens eine konzertante Darbietung erlebte die Oper bei den Salzburger Festspielen 2011, deren Mitschnitt aus der dortigen Kollegienkirche nun auf CD vorliegt.
Sciarrino nennt sein Werk nicht Oper, sondern spricht zurückhaltend von «Tre atti senza nome». Schon hier deutet sich der Abstand zum historischen Referenzwerk Verdis an: Dessen extrovertierer Musikalisierung setzt Sciarrino eine betont sparsame, klanglich minimalisierte, in den Vokalpartien eher anti-rhetorische Partitur entgegen. Reduziert ist auch die Handlung: Das grausige Geschehen wird nicht als äußeres Gemetzel in Szene gesetzt, sondern verlagert sich ins Innenleben der Hauptpersonen und leuchtet deren Seelen­abgründe aus. Die historische Verankerung in der altschottischen Geschichte wird wesenlos: Durch die konkreten Figuren des Macbeth und seiner Lady hindurch wird die zeitlose, stets über Leichen gehende Bösartigkeit des Willens zur Macht dargestellt.
Die Musiker des Klangforum Wien unter Leitung von Evan Christ formen mit rein instrumentalen Mitteln eine gespenstische, alptraumhafte Szenerie von matt schimmernder Luminiszenz. Aus einzelnen kurzen Gesten setzt sich ihr Spiel zusammen, aus einem Huschen und leisen Wischen von Tönen, kleinen Glissandogesten der Streicher, angehauchten Tönen und Lontano-Signalen der Bläser. Nicht körperhaft plastisch und direkt, sondern wie durch einen Vorhang hindurch kommen die Orchesterstimmen beim Hörer an, mehr als fernes Wetterleuchten denn als nahes Gewitter.
Mit seinem Aufgreifen von Shakespeares Macbeth-Stoff zeigt Sciarrino eine unverkrampfte Haltung gegenüber der kulturellen Tradition, über die er einmal geäußert hat: «Ohne ein inniges Verhältnis zur Tradition wäre ich nie zu meiner persönlichen Schreibweise gekommen.» Diese weist bei aller Eigenständigkeit durchaus Parallelen zur frühen Barockoper auf: Die Affektsprache der solistischen Gesangspartien mit ih­ren bisweilen nervös auf- und abflackernden Tönen lässt von Ferne an den «stile concitato» von Monteverdis «seconda prattica» denken. Auffällig ist eben­so die im Kern monodische Anlage der Partitur, wenn auch die Hauptlinie der Musik sich immer wieder rhizomatisch verzweigt und zerfasert. Selbst die vom Vokalensemble NOVA gestaltete Chorpartie ist hiervon nicht ausgenommen, wenn sich diese auch im «Congedo», dem Schlussteil der Oper, madrigalisch verdichtet: zu einem Resümee im Stil antiker Chöre.

Gerhard Dietel