Reed, Lou

Metal Music Machine

First full instrumental version, performed live by zeitkratzer

Verlag/Label: zeitkratzer records CD zkr0016
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 90

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Zur Vorgeschichte: 1975 veröffentlichte der «Velvet Underground»-Gitarrist Lou Reed ein aus vier Titeln bestehendes Doppelalbum, dem jegliche musikähnlichen Inhalte fehlten. Das Klangkonzept bestand aus Rückkopplungen, Verzerrungen und Rauschen und wirkte wie eine Lärmreise zu den Anfängen des Hörens. Das Album wurde mit überwiegend negativen Kritiken überzogen, galt als unnahbar und provozierte beim Publikum eine radikal ablehnende Haltung. Angeblich wollte Reed mit dieser Veröffentlichung seine Plattenfirma RCA Victor ärgern und mit dem Album widerwillig vertragliche Verpflichtungen erfüllen. Der von ihm alleine produzierte lupenreine Lärm verweigerte sich allerdings jeder Songstruktur, die in der Rockmusik zu den fundamentalen Ingredienzien zählt.
2002 dann die erste, allerdings nur gekürzt aufgenommene zeitkratzer-Version, die 2007 beim Label Asphodel auf Tonträger erschienen ist.
Zeitkratzer – von Reinhold Friedl 1997 gegründet – haben den Mantel des Unnahbaren und des Abweisenden, der seit Jahrzehnten über Lou Reeds Werk Metal Music Machine liegt, angehoben und den Metallgehalt aus dieser kakophonischen Orgie entfernt. Und siehe da: Es zeigt sich ein kammermusikalisches Kleinod, ein ungeschliffener Diamant mit spannenden und überraschend irisierenden Effekten, Musik, die mit einer – bei Kenntnis des Originals – gar nicht für möglich gehaltenen Leichtigkeit und einem vom Zwang des Widerstands befreiten musikalischen Ereignisses einhergeht. Das Sperrige, Aufbrausende, Zurückweisende, das von Metal Music Maschine in jeder Phase der Timeline ausgeht, verarbeiten zeitkratzer derart individuell, dass ein Vergleich mit dem von Lou Reed selbst gespielten Original fast unmöglich wird. Lou Reed erlebte die Fertigstellung des zeitkratzer-Projekts nicht mehr: Er starb am 27. Oktober 2013.
Fanfarenähnlich eröffnen zeitkratzer den ersten der vier Teile. Jedes einzelne Stück dauert 16:01 Minuten, die zugrunde liegenden Aufnahmen entstanden 2012 live beim Festival Romaeuropa in Rom und beim Festival Aperto in Reggio Emilia. Vier mal 16 Minuten ohne pausenähnliche Unterbrechungen – ein transparentes, in seiner Radikalität dem Diktum von Luigi Russolos Die Kunst der Geräusche folgendes Klangexperiment. Das Fehlen einer in der Rockmusik typischen elektrischen Gitarre, deren Sound die bis ins Schmerzhafte gehenden Tonfolgen von Metal Music Machine auch körperlich erfahrbar machten, kompensierten zeitkratzer durch eine mit einem Bogen gespielte Gitarre (Marc Weiser) und die flirrenden Klänge von Violine (Burkhard Schlothauer) und Violoncello (Anton Lukoszevieze). Implosion und Explosion – musikalische Prozesse nach innen und nach außen tragend: Metal Music Machine steht nahezu einzigartig da. Was für den Bereich des Pop wie für den der Neuen Musik gültig ist.
Das radikale Werk aus dem 20. Jahrhundert – aus einer protestierenden Laune heraus entstanden – entfaltet offensichtlich erst im 21. seine unangepasste, keinem nachvollziehbaren Genre zuzuordnende künstlerische Kraft.

Klaus Hübner