Gander, Bernhard
Monsters and Angels
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 3
«Ich bin doch kein Monster!», beklagt die Sopranistin in Bernhard Ganders Stück wegda! (2011), in dem der Komponist Versatzstücke aus Reden der ehemaligen österreichischen Innenministerin Maria Fekter so zur Textgrundlage montiert, dass der Ausspruch sie auf der Stelle Lügen straft. Zuvor wettert sie minutenlang gegen die Zuwanderung von Asylbewerbern und missbraucht in purer Selbstsucht ihr Amt als Egodroge («Ich will Lorbeeren!»). Was hier, begleitet vom sägenden und tosenden Ensemble, im holprigen 2/4-Takt vor sich hin schimpft, ist nur eine von vielen Facetten der Monstrosität im neueren Schaffen Ganders, derer sich die CD Monsters and Angels widmet. Die hier versammelten Kompositionen des bekennenden Horrorfilm-Fans haben ihre Wurzeln alle im ganz alltäglich gewordenen Wahnsinn, der wahlweise vom Jenseits der Mattscheibe in die Realität diffundiert oder umgekehrt. Eine menschenverachtend bürokratische Asylpolitik ist dabei gleichzeitig Speer- und Eisbergspitze, die Aussagen über Ursächlichkeit aber kaum zulässt.
Ganz anders in khul (2010), dessen Titel ein Anagramm des Superhelden Hulk bildet. Hier bricht die berühmte Wut des Helden in jeder Sekunde des Stücks förmlich aus ihm heraus. Man kann sie brodeln, abschwellen oder eben explodieren hören. Gander führt dies in einem transparenten Satz aus, der in seinem brachialen Gestus die aufbäumende Brutalität des Superhelden mit einer eigenwilligen Ästhetik versieht. Ohne im Übermaß auf avancierte Spieltechniken zurückzugreifen, gelingt durch plastische Spielanweisungen wie «angespannt», «schwerfällig» oder «zupackend» eine Intensität, die an die Streichquartette Xenakis gemahnt.
Dass Superhelden aber nicht immer das letzte Wort behalten, davon zeugt kein Genre so sehr wie der zeitgenössische Horrorfilm. In Horribile dictu (2007) thematisiert Gander die Omnipräsenz und gleichzeitige Banalisierung der Gewalt durch das Massenphänomen, indem er die zur bloßen Floskel verkommenen Hilfeschreie der Opfer in spe verarbeitet. Aneinandermontiert, sukzessive mehr vom Instrumentalensemble verschluckt, ist das grausame Ende ebenso prädestiniert wie die Belanglosigkeit des Einzelschicksals. Die Komposition entlarvt die routinierte Mordmaschine als sklavische Exekutive einer ewig ratternden Verwertungsindustrie.
Die beiden großen Orchesterwerke, dirty angel (2010) und lovely monster (2009), begeben sich lautmalerisch auf die Suche nach den introspektiven Ursprüngen der äußerlichen Repräsentationen. Lovely monster ist ähnlich wie khul geprägt von einem elementaren inneren Konflikt: Zwei durch unterschiedliche Taktarten symbolisierte Monster treten gegeneinander an. Da keines die Oberhand gewinnen kann, scheint am Ende die Vereinigung zu stehen, auch wenn diese genauso rücksichtslos und unsensibel verläuft wie der vorangegangene Zwist. Dirty angel macht kleinste Motive der Soloinstrumente Flügelhorn und Akkordeon zum Ausdruck des flatternden Engels, der vom Orchester mit harten Schlägen auf Blech und Ausbrüchen in tiefster Lage auf dem Boden gehalten wird. Erst mühsam kann er sich befreien und am Ende, wenn auch blessiert, so doch friedlich davonfliegen trotz all der düsteren Farben, mit denen Gander seine Kreaturen malt, besteht die Hoffnung auf ein Happy End fort.
Patrick Klingenschmitt