Krones, Hartmut / Meyer, Christian (Hg.)

Mozart und Schönberg

Wiener Klassik und Wiener Schule (= Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg, Band 7)

Verlag/Label: Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2012 | 329 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/01 , Seite 90

Schönberg sagte einmal: «Meine Lehrmeister waren in erster Linie Bach und Mozart, in zweiter Linie Beethoven, Brahms und Wagner.» Es geht in der vorliegenden musikwissenschaftlichen Schrift um Jahrhunderte übergreifende Zusammenhänge. Nicht zuletzt um das Strukturdenken Schönbergs, Bergs und Weberns und wieweit es in der Musik der Wiener Klassiker verwurzelt ist. Alle Autoren des Buchs schauen zurück – obwohl der gegenwärtige Betrieb nach wie vor Handel treibt mit 99 Prozent Musik von gestern und Schönberg schon so weichgeklopft hat, dass ihm in Konzerten, und seien seine Werke noch so sperrig, mit derselben Beglückung akklamiert wird wie Mozart.
Wahrheit, in Werken sedimentiert, sickert weg. Die heutige Rezeption der beiden Meister fehlt völlig in dem Buch. Stattdessen setzt sich Helmut Loos mit der Rezeption von «Wiener Klassik» und «Wiener Schule» als Schule auseinander, als wüssten die Interessenten nicht, dass deren Konnotation längst unangefochten ist. Erfreulicherweise fragt Christian Martin Schmidt nach der individuellen oder kollektiven Rezeption und stellt Schönbergs Sicht auf die Wiener Klassiker in einen umfassenderen Zusammenhang. Die Reflexion darüber, so spricht er seine Zunftgenossen an, solle der «Verblasstheit des Selbstverständlichen» entzogen werden. Schmidt stellt Schönberg das lapidare Zeugnis aus, er sei wie andere seinesgleichen Kind seiner Zeit gewesen.
Angriffsfreudig geht Hans-Joachim Hinrichsen das Thema «Schönberg – Mozart – Bach. Geschichte einer Legitimation» an. Wie Schönberg einst Händel zu verbessern suchte, indem er eines seiner Concerti modernisierte, ging er auch in seiner Harmonielehre vor. Und genau dieses Herangehen bekrittelt Hinrichsen. In Schönbergs Harmonielehre seien falsch oder einseitig gesehene Strukturen Bach’scher Vokalmusik aufgeführt. Schönberg hätten vor allem die schräge Harmonik, die Härten des Satzes, die Regelverstöße interessiert. Na was denn sonst. Der Komponist stand mit Kopf und beiden Beinen in der freien Atonalität und schuf ungeheure Werke in diesem Stil. Der suchte geradezu nach Asymmetrien, dem, was aus der Norm fällt, und selbstverständlich nach den unaufgelösten Harmonien, den dissonanten Durchgangs- und Vorhaltstönen und danach, wie sich Linien hartnäckig durch einen dichten Kontrapunkt hindurcharbeiten. Und endlich freuten ihn die Zwölftonreihen bei Bach, die er beim Durchblättern des Wohltemperierten Klaviers sah. Die Mozart-Aneignung Schönbergs, meint Hinrichsen, gehe nach denselben Mustern vonstatten. Er hätte aus der Bach-Rezeption Mozarts keinen Gewinn gezogen, sondern diese schlicht ignoriert. Seine Analysen würden vielmehr die eigene Sache bestätigen als zu brauchbaren Belegen für eine kompositorische Rezeption taugen, so als hätte Schönberg eine «musikgeschichtliche Gesamterzählung» liefern sollen.
Hochinstruktiv Peter Andraschkes Analysen von Ländler, Walzer und Marsch in der Wiener Klassik und der Wiener Schule. Volkstümlichkeit in moderner Musik belächelt er nicht, sondern sieht sie gleich den Wiener Meistern als willkommene Integrationsmöglichkeit und als Inspirationsquelle an. Des Autors Analysen der Märsche und des Ländlers in der «Tanzszene» der Serenade und der Walzer- und Länd­lerintonationen in Schönbergs Suite op. 29 gehören zum Besten des Buchs.

Stefan Amzoll