Seidl, Hannes

Musik für übers Sofa

Verlag/Label: Wergo WER 65742
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/01 , Seite 87

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

 

Musik für übers Sofa: Es klingt etwas nach einem zweiten Erik Satie aus dem Ruhrpott. Doch der einfallsreich-ironische Titel stammt vom 1977 in Bremen geborenen Hannes Seidl, einem ehemaligen Schüler von Nicolaus A. Huber, Thomas Neuhaus und Beat Furrer. Seidl hat sich viel mit Musikelektronik beschäftigt. Vielleicht ist er dadurch verstärkt zu dem Klangfetischisten mutiert, als der er sich auf seiner Porträt-CD erweist.
Gerade angesichts Zeiten omnipräsenter Verfügbarkeit von Musik legt Seidl zu Recht wert auf den fundamentalen Unterschied zwischen Musik, die im Konzert klingt, und jener, die man zuhause, «auf’m Sofa», hört. Kontemplative Versenkung schließt das zuhause nicht aus. Die Reichhaltigkeit der Musik und die fantastische klangliche Produktion gibt einiges her, nur durch feines Lauschen ist die mühevolle Arbeit am Klang zu erfassen. Aber Seidls lässige, unaufdring­liche Stücke lassen eben auch das zu, was sich Erik Satie von seiner Musique d’ameublement erhoffte: ein zerstreutes, ein abschweifendes Hören, das inspiriert, vielfältige Stimmungen evoziert.
Organische Gebilde sind nicht zu hören, das Prinzip der losen Reihung ist dominant. Seine Stärken offenbart Seidl dabei nicht so sehr im rein instrumentalen Stück Was mich angeht für vier Tenorposaunen (2008). Das Spiel mit vorder- und hintergründigen Klängen wirkt hier – über die Dauer von elf Minuten – nicht tragfähig genug. In Zimmerrauschen, einem Hörstück für Kontrabassklarinette in verschiedenen Mikrofonierungen und Umgebungsklängen (2009), entfaltet sich Seidls Fantasie offenkundig besser. Luc Ferraris anekdotische Musik schimmert in den Versatzstücken aus Umweltgeräuschen, aus unterschiedlichen Aufnahmeperspektiven aufgenommener Klarinette und elektronischen Klängen durch. Gelungen ist auch die Konzeptkomposition Die Anderen – Jetzt Neu! für Klavier und Zuspielungen (2003). Wie ein von der Werbung befeuerter Dauer-Shopper begibt sich der Pianist auf die Suche nach immer neuen Klanggestalten. Was anfangs noch zaghaft erscheint, steigert sich zunehmend zu einer Verdichtung heterogener Klangmaterialien. Im übertragenen Sinne zu einem unstillbaren Kaufrausch, der übrigens auch vor dieser CD nicht Halt machen sollte. Kaufreize: Neben der herrlich inspirierenden Musik ein sehr guter Text von Michael Rebhahn und ein reich bebildertes Booklet mit Stills aus einem Film für übers Sofa, den Seidl mit Daniel Kötter produzierte.

Torsten Möller