Stöck, Katrin

Musiktheater in der DDR

Szenische Kammermusik und Kammeroper der 1970 und 1980er Jahre

Verlag/Label: Böhlau, Köln / Weimar / Wien 2013, 314 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 92

Katrin Stöck, das sei gleich gesagt, hat ein außerordentlich lesenswertes, weil anregendes, informatives, klug aufgebautes Buch geschrieben. Es rückt erstaunlichen Entwicklungen zu Leibe, solchen, die überhaupt noch nicht erforscht sind, worüber es allenfalls Einzelstudien gibt, eine Draufsicht aber völlig fehlt. Der untersuchte Komplex, freilich liliputanisch gegen die Phalanx des Konzert- und Opernbetriebs, wies seinerzeit in die Zukunft. Über einzelne, heftig ausstrahlende Modelle, szenisch zu komponieren, beginnt sich später – nicht ohne Schwierigkeiten – eine ganze Landschaft herauszuschälen, wie die Autorin nachweist. Der Start erfolgt mit Friedrich Schenkers Kammerspiel I auf Texte von Morgensterns Galgenliedern. Danach gewinnt die Szenerie zunehmend an Schubkraft und differenziert sich generationsübergreifend. Dies ist nur ein Teil der Sache.
Aufs Ganze zu schauen und es verständlich zu machen unternimmt die Autorin und räumt bei der Gelegenheit mit etlichen Vorurteilen auf, vor allen mit der westlichen Ignoranz, die sie bisweilen aufs Heftigste attackiert. Hierfür hat sie gute Gründe. Denn was ihren Gegenstand im Innersten ausmacht, überzeugt sie in großen Teilen und sie weiß deren Qualitäten sehr wohl abzuwägen und mit ähnlichen Entwicklungen im Westen fair zu vergleichen. Die szenischen Arbeiten Kagels und Cages sind für sie keineswegs der alleinige Maßstab, sondern sie favorisiert die Farbigkeit und Vielfalt der Phänomene und sucht diese zu systematisieren.
Bei den Quellen wäre die Lage nur unvollkommen gewesen. Viele Partituren lägen verborgen in privaten Schränken oder seien nicht mehr auffíndbar. Das beträfe auch Teile der Tonbeispiele. Auf die Untersuchung von ihren Gegenstand betreffenden Initiativen des DDR-Rundfunks verzichtet sie allerdings.
Interessant die Frage, worüber szenische Kammermusik / moderne Kam­meroper ihrer selbst inne wurde und sich als unumstößliche Sparte im Musikleben konstituieren konnte. Stöck fragt hier nach Motiven, lenkt den Blick auf musikalische und theatrale Kontexte. Beides zu untersuchen ist ihr methodisch gleich wichtig: die Sze­narien eines Goldmann in der Opernfantasie R. Hot oder eines Schenker im Kammerspiel II «Missa nigra» – beide Stücke übten größten Einfluss aus – genauso wie Arbeitsweisen des Heiner Müller in Leben Gundlings oder Mauser. Durchs Wirrwarr ganzer Strömungen knüppelt sich die Autorin hindurch, zieht forschen Schritts mit aktuellen Theorien bewaffnet durch den Garten postdramatischer, postavantgardistischer Leidenschaften und sucht darin etwas Ordnung hineinzubringen. Das größte Pfund ihrer Arbeit sind die Befragungen. Katrin Stöck hat sich auf den Weg gemacht. An die vierzig Komponisten, neben den schon genannten Paul-Heinz Dittrich, Georg Katzer, Lothar Voigtländer, Karl Ottomar Treibmann, Lutz Glandien, Kurt Dietmar Richter, Helge Jung, Steffen Schleiermacher, Thomas Hertel, Johannes Wallmann und viele mehr, hat sie 1999 aufgesucht und die meisten von ihnen 2012 nochmals befragt. – Darauf aufbauend, arbeitet Stöck spezielle Entwicklungsetappen heraus, analysiert, systematisiert, zieht Schlüsse. Ergebnis sei eine «große Vielfalt». Ein Konglomerat vieler Faktoren sei Anstoß für die Komponisten gewesen, den Versuch mit szenischer Kammermusik und Kammeroper, die aus dem Raster fällt, zu wagen.

Stefan Amzoll