Lampson, Elmar
Mysterienszenen « wie ein zarter Duft, ein Luftzug.»
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 3
Booklet: 5
Rudolf Steiners Mysteriendramen erzählen von der introspektiven Reise zum Selbst. Parabelartig begleiten sie mehrere Figuren, die alle auf ihre Weise um existenzielle Erkenntnis ringen, auf dem Weg vom regulär zugänglichen Bereich der Welt in das geheime Reich der Geister und Sylphen. Für eine Neuinszenierung des Bühnenstücks 2010 am Goetheanum in Dornach (Schweiz) komponierte Elmar Lampson dazu seine Mysterienszenen, die in all jenen Passagen erklingen, in denen den Figuren die Worte versagen und sich eine «visionäre Schauung» einstellt.
Die Mysterienszenen sind also keine Vertonung der Vorlage geworden, vielmehr bietet diese dem Komponisten einen «Resonanzraum», in dem er mit Hilfe seines ganz eigenen kompositorischen Vokabulars auf sie reflektieren kann. Bewusst kombiniert Lampson dabei Dreiklangsharmonik mit Atonalem und Geräuschhaftem, womit er einerseits den in den Dramen angelegten musikalischen Elementen entspricht. Gleichzeitig gelangen so die untergründig stattfindenden Transformationsprozesse an die klangliche Oberfläche. Tonartwechsel unterteilen die Szenen in mehrere Abschnitte und signalisieren handlungsimmanent jeweils eine neue Erkenntnisstufe.
Insgesamt steht die Musik fundamental im Dienst der dramatischen Vorlage, aus der allein sich die Regeln ihrer Konstitution ableiten: Melodisch dominiert eine zur Transzendenz prädestinierte Flöte, der Orchesterapparat reduziert sich zu Beginn auf im Hintergrund oszillierende Klangflächen, mit denen der Solopart nur selten in Dialog tritt. Wenige Motive bilden durch Wiederholung, Entwicklung und Variation den Kern des gesamten Werks. Darüber hinaus dienen weitere klangliche Effekte, wie die großen Thai-Gongs in den «Tempelszenen», der onomatopoetischen Ausgestaltung. Im Verlauf gewinnt das Tutti immer mehr an Bedeutung, die Harmonik wird fragmentiert und das Tempo gesteigert, bis sich «Im Geistgebiet», dem letzten Satz, schließlich die Solostimme darin auflöst analog dem Individuum im Chor der antiken Tragödie. Die Suite zeichnet so den dramaturgischen Bogen von Steiners Mysteriendramen nach, ohne dass der Hörer diese tatsächlich kennen müsste. Die Musik kann für sich allein stehen und lädt durch ihren starken gestischen Habitus zu eigenen Interpretationen und Assoziationen ein.
Wo der Wille zur dramatischen Konsequenz und zum Ausloten der Grenze zwischen ernstgemeinter Esoterik und Kitsch innerhalb der Komposition positiv auffällt, ist es umso bedauerlicher, dass bei der Abmischung der Aufnahme nicht auf einen allzu entrückten Charakter verzichtet wurde. Das Soloinstrument wird stark in den Vordergrund gemischt und unnötigerweise mit Hall versehen. An entsprechender Transparenz, um die filigranen mikrotonalen Bewegungen und geräuschhaften Anteile im Ensemble differenziert hören zu können, fehlt es leider völlig. Hier hätte ein natürlicherer Klang dem Stück sicherlich gut getan, und die hervorragende Leistung des Solistenensembles des Internationalen Mahler Orchesters unter der Leitung von Yoel Gamzou wäre noch besser zur Geltung gekommen.
Patrick Klingenschmitt