Drees, Stefan (Hg.)
Neugier ist alles
Der Komponist Detlef Glanert
Es wird kaum einen lebenden Komponisten geben, der sich so sehr der Oper widmet wie Detlef Glanert. Seine Orte sind nicht die Donaueschinger Musiktage, nicht die Darmstädter Ferienkurse oder die MaerzMusik. Nein, sie heißen: Großes Schauspielhaus Frankfurt am Main, Landestheater Linz oder Opernhaus Nürnberg. Angesichts der Dominanz von Glanerts Opernschaffen verwundert es nicht, dass dieses im Zentrum des Sammelbandes steht, sowohl werk- als auch kontextbezogen.
So kontrovers der Fall Glanert auch vom «Feuilleton-Trottel» (Glanert) diskutiert wird: eine kritische und redliche Kunstauffassung kann man dem 1960 in Hamburg Geborenen nicht absprechen. Kaum ist zu überlesen, dass sich Glanert seine Gedanken macht über Kulturpolitik als Schnittmenge von Kunst und Gesellschaft. Die Zustände an den Opernhäusern scheinen noch weitaus schlimmer als der unerträgliche Zustand in öffentlichen Rundfunkanstalten mit Kultur- und ohne Quotenauftrag. Geltungssüchtigen Intendanten begegnet Glanert in seinem Metier, die nur deshalb etwas Zeitgenössisches auf den Spielplan setzen, damit die Presse von ihren persönlichen Innovationen berichtet. Streichkonzerte gehören offenbar ebenso zum Opernalltag wie die Anbiederung an die Tourismuslobby. Wenn sich eine Lücke fürs Zeitgenössische auftut, steht die Produktion von vornherein unter unguten Vorzeichen. In seinem im Sammelband erstmals publizierten Text «Sieben Wünsche» (ursprünglich eine Rede vor dem Deutschen Bühnenverein im Jahr 2009) gibt Glanert erschreckende Einblicke in den Opernbetrieb. Er beklagt nicht gelesene Briefe, nicht gehaltene Versprechen, unverabredete Kürzungen in Partituren und sogar, man höre und staune, Regisseure, Bühnen- und Kostümbildner, die sich «ausdrücklich weigern», mit Komponisten zu reden!
Auch wenn einiges über die Opern und manches (leider auch mit Wiederholungen Durchsetztes) über Glanerts Orchesterwerke und Kammermusik zu erfahren ist seinen besonderen Wert verdankt das Buch der Tatsache, dass Glanert so etwas wie ein letzter Dinosaurier zu sein scheint. Nach der Lektüre des gut redigierten Buchs darf man sich von den Opernhäusern heutigen Zuschnitts nicht mehr viel für die Zeitgenössische Oper erwarten. Glanert erwähnt, dass in der Spielzeit 2006/07 von insgesamt 10283 Musiktheateraufführungen lediglich 355 Uraufführungsvorstellungen waren. Selbst ein Komponist, dessen künstlerische Position gewiss nicht der eines Radikalen entspricht, neigt angesichts zu vieler «Kunstverwalter» zum wohl formulierten Defätismus: «Der Kunstverwalter möchte seinem Städtchen aufhelfen: Es gilt, neue Gelder in den Tourismus zu stecken, in Musicals, Stadtteilfeste, Jubiläen, Oster-, Weihnachts-, Sommer-, Winter-, Jahrmärkte, es gilt überregionale Begegnungen mit integrierter Würstchenbude und regionalem Bardensang zu ermöglichen, jede Minorität braucht ihre Versorgung mit nicht allzu schwieriger Kunst, kurzum, es gilt Geld zu stecken in alles, was er, der Beamte, mit seinem langen Finger als Kultur zu bezeichnen gedenkt
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Torsten Möller