Thymolphthalein

Ni maître, Ni marteau

Verlag/Label: DeMEGO 015 (LP)
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/01 , Seite 87

Musikalische Wertung: 2
Technische Wertung: 2
Booklet: 3

Thymolphthalein ist ein Farbstoff und wird als ph-Wert-Indikator eingesetzt. Farben in Form von elektroakustischen und akustisch erzeugten Klangflächen, aber auch in Form verschiedener musikalischer Gesten sind Kern des gleichnamigen Stücks von Anthony Pateras. Der australische Komponist und Improvisator, Pianist und Elektroniker war im Jahr 2009 eingeladen, ein Projekt für das SWR2 NEWJazz Meeting zu entwickeln. Traditionell einem Musiker oder einer Musikerin überantwortet, erhalten diese die Möglichkeit – und dies ist in Kreisen der improvisierten Musik und des (Free) Jazz äußerst selten – sich ein internationales Ensemble zusammenzustellen, mit diesem einige Tage unter besten Bedingungen im Studio des SWR zu proben, um das Projekt schließlich mit einer dreitägigen Konzerttour abzuschließen. Nicht ganz zu beenden, denn eine Tonträgerproduktion schließt sich meist an.
Anthony Pateras hat Improvisierende aus Australien und einen Franzosen zu einem Ensemble gemischt, in dem akustisches wie elektronisches Instrumentarium vertreten ist, indem jedes akustische Instrument zudem entweder mittels elektronischer Zutat oder Präparation ergänzt wird. In 13 konzisen Stücken über­lagert Pateras diverse Schichten, verweben die Musiker akustisches und elektronisches Material zu einem verzweigten klanglichen Geäst. Seite 1 der LP hat dabei mehrheitlich ruhige Flächen als Basis, Seite 2 ist dichter gestaltet, pointillistischer, interaktiver. Da­bei wechseln loop-generierte oder lang gehaltene Klangströme, ob dicht oder als dünnes Klangband, mit interaktiv-pointillistischen kleinen Gesten, Einwürfen. Klanglicher und energetischer Vorder- und Hintergrund wechseln, werden nach und nach gedreht, gewendet, ausgetauscht. Die Klangfarben der Instrumente mischen bzw. ergänzen sich dabei nuancenreich, verschmelzen zum Teil. Die Übergänge zwischen Bewegtheit und Ruhe geschehen meist organisch. Einzelne Brü­che oder Zäsuren sind klar, pointieren das Geschehen, setzen Kontrapunkte.
«Ni maître, Ni marteau» – ein Wortspiel in Erinnerung an Boulez’ «Le marteau sans maître»? Oder ist es eher ein Verweis auf die Musik oder besser: die Entstehung dieser Musik, soll sich der Fokus beim Hören weder auf einen alleinigen Urheber und Meister noch auf das Werkzeug der Musikentstehung richten, sondern die Aufmerksamkeit auf den Prozess der Arbeit lenken?

Nina Polaschegg