Nils Mönkemeyer: Bach und mehr

Johann Sebastian Bach: Suiten für Viola solo BWV 1007-1009 | Krzysztof Penderecki: Sarabande | Sally Beamish: Ariel | Konstantia Gourzi: 9 Lullabies | Marco Hertenstein: Luce morenda

Verlag/Label: Sony Classical 88765434782
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 83

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 2

«Nicht alle Musiker glauben an Gott, aber alle Musiker glauben an Bach.» – Auf Nils Mönkemeyer trifft der zweite Teil von Mauricio Kagels Beobachtung unbedingt zu. Für seine erste Solo-CD hat der 1978 in Bremen geborene Überzeugungs-Bratscher nicht nur die ersten drei von Bachs Cello-Suiten BWV 1007-09 für sein Instrument eingerichtet und in einer Weise eingespielt, die Bach als tiefgründigen Klangredner wie als überbordend sinnenfrohen Kraftquell erleben lässt. Dieser bemerkenswerten Interpretation, die gleichermaßen von Mönkemeyers Ausbildung als Barocktänzer, der historisch informierten Aufführungspraxis und der sehr viel größeren Beweglichkeit der Bratsche gegenüber dem Cello profitiert, hat er noch eine «Bonus-CD» mit zeitgenössischen Kompositionen für Viola solo angefügt, die sich jeweils mit Bach auseinandersetzen.
Krzysztof Penderecki hat seine Sarabande, J. S. Bach in memoriam für den Yuri Bashmet-Wettbewerb geschrieben, den Mönkemeyer 2006 gewonnen hat. Mit einer Bach’schen Sarabande teilt das Stück neben dem Wechsel von aussingender Melodik und vollgriffiger Harmonik den statischen, (emotional) reflektierenden Charakter.
Die Kompositionen der anderen drei Welt-Ersteinspielungen dieser Bonus-CD hat Mönkemeyer selbst in Auftrag gegeben. Marco Hertenstein (geb. 1975) bezieht sich in Luce morenda auf den Punkt in Bachs Kunst der Fuge, an dem Bachs Autograf abbricht. Sein Stück gleicht einem auskomponierten Sterben, in dem das ganze Leben Bachs noch einmal aufleuchtet: in kontrapunktischen Führungen, sanglicher Meditation, tänzerischer Lebenslust und fast unmenschlicher Unrast.
Die in Schottland lebende, 1956 geborene Sally Beamish ist selbst Bratschistin. Das kompositorische Material für Ariel schöpfte sie aus dem düsteren Grummeln und Grollen, dem ätherischen Pfeifen, den haptischen Springbogenklängen und den samtigen Kantilenen ihres Instruments. Damit schuf sie ein Stück inneres Musiktheater über ein schillerndes Botenwesen zwischen Göttern, Teufeln und Zauberern wie dem in Shakespeares Sturm. Man folgt dem mit großem Vergnügen.
Beim Hören der CD überrascht schließlich das erste der Nine Lullabies for a New World op. 49 von Konstantia Gourzi: So leise, dass man ihr gleichsam innerlich ein Stück entgegenkommen muss, entfaltet sich über dem Bordun der leeren g-Saite im zartesten Tremolo eine Melodie, die an eine griechische Volksweise erinnert. Über leichte Entrückungen und Fragmentierungen (das zweite Wiegenlied hat nur vier Takte, das dritte sogar nur zwei, beide klingen schwebend aus) erreicht die 1962 in Athen geborene Komponistin und Dirigentin, dass man das Vortreffliche an musikalischen Wendungen entdeckt, deren Wert man leicht aus Gewohnheit ignoriert. Nur schade, dass diese Kondensate nicht auf je einzeln anwähl­baren Tracks untergebracht sind: Sie verdienten es, in all ihren Nuancen erspürt zu werden – zumal so, wie Mönkemeyer sie spielt.

Doris Kösterke