Rihm, Wolfgang

Oedipus

Deutsche Oper Berlin 1987

Verlag/Label: Arthaus 101 667 (DVD) | 105 min.
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 82

Diese DVD ist ein Anwärter auf den ers­ten Preis im Wettbewerb um die abschre­ckendste Präsentation einer Oper. Es geht los mit dem Blick in das Foyer der Deutschen Oper Berlin mit wandelnden Premierengästen, dazu hört man eine Stimme aus dem Off: «Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich begrüße Sie zur Welturaufführung von Wolfgang Rihms Oedipus.» Sie gehört dem Ansager Georg Quander, der in der nächsten Einstellung im dunk­len Zweireiher in den Opernhauskulissen steht, locker flankiert von ein paar Bühnentechnikern, und der nun sieben Minuten lang einen Einführungsvortrag hält. An den Stellen, an denen er sich verspricht, gibt es Zwischenschnitte in den Zuschauerraum und den Orchestergraben. Man erfährt, dass Rihm sein neues Werk als Musiktheater bezeichnet und warum er das tut, wo er den Stoff her hat (Sophokles/ Hölderlin, Nietzsche, Heiner Müller) und dass dieser Stoff die Menschen seit je fasziniert hat. Ferner, dass sich die Handlung in zwei Ebenen aufteilt. Es schließt sich eine Exegese des alten Mythos an, wobei natürlich auch der Hinweis auf Freud nicht fehlt. Nach der Feststellung, dass die In­szenierung von Götz Friedrich einen Zeitraum von mehr als zweitausend Jahren umfasst, leitet eine dilettantische Überblendung zur länglich geratenen Beschreibung der Handlung über. Eine Aufzählung der Mitwirkenden, wie man sie von Live-Übertragungen im Radio her kennt, bildet die Krönung dieses Vorspanns, der als ein Beispiel für die filmästhetische Kompetenz des öffentlich-rechtlichen Fernsehens des Jahres 1987 angesehen werden kann.
Die alterssteife Erklärung, die den Charme von papierner Opernführerprosa verströmt, lässt sich allenfalls noch mit dem Entstehungsdatum rechtfertigen. Unverständlich ist aber, dass dieser Publikumstöter noch 2013 in die DVD-Edition von Rihms Oedipus übernommen wurde. Die populistische Forderung, Kunst müsse auf Teufel komm raus «vermittelt» werden, scheint inzwischen von vielen Kulturverwaltern und -produzenten so verinnerlicht worden zu sein, dass sie gar nicht mehr bemerken, wie sehr sie dadurch die Attraktivität ihrer eigenen Produkte und damit die Verkaufsaussichten schmälern. Dem DVD-Label kann das hier vermutlich auch egal sein, denn Zahlmeister sind in diesem Fall wohl die Deutsche Oper Berlin und der Rundfunk Berlin-Brandenburg, die als Koproduzenten angeführt sind und als staatliche beziehungsweise öffentlich-rechtliche Anstalten auf eine Vermarktung der DVD nicht angewiesen sind. So beschränkt sich der Abnehmerkreis wieder einmal auf einige Hochschulbibliotheken und den üblichen Eingeweihtenzirkel, und das Ghetto der neuen Musik bleibt auch in der publikumsfreundlichen audiovisuellen Ära zuverlässig zubetoniert.
Nach der verstaubten Einleitung, die un­ter normalen Marktbedingungen in einen sogenannten Bonus-Track verbannt oder einfach gestrichen worden wäre – die nötigen Informationen findet man ohnehin auch im Booklet –, ist man ganz auf das Berlin der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts eingestimmt, wo im Geiste des dialektischen Literaten Heiner Müller Politik noch im wallenden Gewand des griechischen Mythos daherkommt: «Man muss doch herrschen.» – «Ja, aber nicht die Schlimmen!» Die schicksalsschwere Geschichte von menschlichem Irrtum, Mord und Selbstverstümmelung, unausweichlicher Schuld und grausamer Sühne wird von Wolfgang Rihm mit den neo-expressionistischen Mitteln erzählt, die für sein damaliges Schaffen bestimmend sind: mit pathosgeladenem Fortissimo-Gesang, bedeutungsschwer und angespannt in jeder Silbe, mit abrupten Orchesterkommentaren und in einem Erzähltempo von breit fließendem Andante. Kurze Partien er­klingen über Lautsprecher, gesprochen von akustisch unverständlichen Stimmen; aber dafür gibt es zum Glück Untertitel. Götz Friedrich setzt die musikalischen Botschaften in plausible Szenenbilder um, und der Videoregisseur Brian Large bemüht sich nach Kräften, daraus mehr als eine Theaterdokumentation zu machen und das Ganze lebendig auf den Bildschirm zu bringen. Nach dem dilettantischen Einstieg zu Beginn ist das aber auch bitter nötig.