Hind, Rolf

Orchestra and Chamber Music

Verlag/Label: NEOS 11049
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/02 , Seite 90

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Rolf Hind ist fasziniert von Indien. Eine Faszination, die sich auch in seinem kompositorischen Schaffen bemerkbar macht, wie zum Beispiel in The Eye of Fire, dessen musikalische Miniaturen vom Yoga beeinflusst worden sind. Das Stück wirkt meditativ, auch wenn lautere Dynamiken anklingen. Man wird Zeuge einer sich langsam entfaltenden Klangsprache zwischen präpariertem Klavier und Streichquartett, einer Musik, die manchmal sogar im Stillstand zu verharren scheint und eben die Körperspannung assoziieren lässt, die im Yoga von großer Bedeutung ist. Hört man genau hin, entdeckt man in den einzelnen Abschnitten oder Positionen ein Netzwerk aus unterschiedlichen akustischen Ereignissen, die parallel zueinander zu verlaufen scheinen. Womöglich möchte der Komponist damit einzelne Körperbewegungen imitieren, die während der Yoga-Übungen zu vollziehen sind. Hinds musikalische Feinmotorik geht sogar so weit, spezifische Atemweisen als rhythmische Struktur zu verwenden.
City of Love basiert auf drei Texten des indischen Dichters Bihari, die aus dem 17. Jahrhundert stammen. Es scheint um die Wirren der Zweisamkeit zu gehen. Die Komposition besteht aus drei Abschnitten, die sehr kurz gehalten sind. Violine und Klavier werden vom Gesang Sarah Leonards begleitet. Die Stimmung der drei Lieder wirkt ruhelos und unheimlich. Ganz im Gegensatz zur Komposition Maya-Sesh. Im zweiten Teil des Stücks möchte der Komponist die hektischen Verkehrsverhältnisse Indiens versinnbildlichen. Orchester und Klavier gehen eine lautstarke Fusion ein – plötzliche Eruptionen und musikalische Unvorhersehbarkeiten bestimmen das Klangbild, dessen Dynamik sich in permanenter Fluktuation befindet. Ungewöhnlich ist die Besetzung des Orchesters: Blockflöten tönen schrill, ein Sopransaxofon erinnert an den Klang von Auto­hupen, ein Akkordeon vermittelt dem Klangbild scharfe Koloraturen, die von rhythmischen Interventionen des Schlagwerks grundiert werden. Im folgenden Teil dominieren ruhige Tö­ne: ein versöhnlicher Kontrast zum lauten Vorspiel. Ein Klavier entfaltet hypnotische Tonfolgen, während sich behutsam lang ausgehaltene an- und abschwellende Liegetöne ausbreiten.
Rolf Hinds Musik ist sehr genau ausgearbeitet, ihr Klangspektrum reicht weit. Der Komponist arbeitet mit gewöhnlichen Sounds, versteht es aber auch, unkonventionelle Klänge sinnvoll einzusetzen oder präpariertes Instrumentarium eloquent in seine Stücke einzubinden. Verwunderlich ist lediglich, dass Hinds Musik, obwohl sie so stark von der indischen Kultur beeinflusst ist, gar nicht danach klingt. Sie ist fest in der Klangsprache des Westens verankert, sich ihrer Traditionen und Regeln bewusst. Ob das nun gut oder schlecht ist, sollte jeder für sich selbst entscheiden. Jedenfalls tappt der Komponist nicht in die Falle, den Sound seiner Musik mit klischeebehafteten Exotismen und Fusionsversuchen zu verunstalten.

Raphael Smarzoch