Pattar, Frédéric

Outlyer

Verlag/Label: Césaré (Vertrieb: metamkine)
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/01 , Seite 84

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Die Erde nach dem Dritten Weltkrieg – die Menschheit ist ausgelöscht, die Natur erobert sich den Planeten zurück. Das ist die Ausgangslage in Arno Schmidts Erzählung Schwarze Spiegel. Der Erzähler darin – einer von zwei Überlebenden der Katastrophe – streift durch die Lüneburger Heide und Hamburg und hat für die Überreste der Zivilisation nur Sarkasmus und Spott üb­rig: eine beißende Abrechnung mit dem Machtwahn des Menschen.
Die Lektüre dieser Erzählung inspirierte den französischen Komponisten Frédéric Pattar zu einem dreiteiligen Zyklus von Kammermusikwerken mit dem Titel Miroirs noirs I-III, der in den Jahren 2008 und 2009 entstand. Instrumente, so sie die Hölle überleben und jemand sie noch spielen kann, stellt sich Pattar darin als klingende Spiegel untergegangener Kulturen vor.
Ein Streichtrio kombiniert er jeweils mit solistischen Instrumenten: in Miroir I mit der Zarbe, der traditionellen iranischen Handtrommel, in Miroir II mit der Klarinette, in Miroir III mit Celesta und Toy Piano. Die Zarbe, so Pattar, wecke Assoziationen an den Orient, die Klarinette öffne die Tür zur Welt der Klezmer-Musik, Celesta und Toy Piano ließen Kindheitserinnerungen wach werden.
So düster, wie sich Arno Schmidts Erzählung liest, klingt die Musik allerdings keineswegs. Pattar komponiert nicht motivisch oder diskursiv, sondern erfindet Klanggestalten für eine imaginäre Bühne. Man hört feinsinnige Übergänge zwischen Pulsation und freier Rhythmik, erlebt die Annäherung unterschiedlicher Charaktere, etwa wenn das Streichtrio in Miroir I perkussiv spielt und damit die Sprache der Zarbe «spricht». Pattar will nicht überwältigen, sondern nimmt den Hörer mit auf Entdeckungsreisen und lässt ihm dabei Zeit zum Innehalten.
Seine Fantasie entzündet sich dabei in starkem Ausmaß an literarischen und philosophischen Texten. Den drei Miroirs ordnet der Komponist zentrale Begriffe aus Gilles Deleuzes Struktu­ralismus-Klassiker Milles Plateaux zu: «machine de guerre», «ritournelle» und «devenir-enfant». Auch das titelgebende Outlyer für Kammerensemble verweist auf einen weiten literarischen Horizont. Den Anstoß gab das umfangreiche gleichnamige Poem des amerikanischen Autors Jim Harrison. Es schwanke zwischen «trivial und sublim», so Pattar, ein Moment, das ihn stark angezogen habe. Verbunden wird diese Inspirationsquelle mit dem Mythos von Narziss und der Nymphe Echo. Ihn habe die Figur der Echo als «Klang ohne Körper» fasziniert, erläutert Pattar. In der zum Beginn solistisch geführten Violine und der «abseits der Szene» agierenden Flöte mag man die Protagonisten der Sage wiedererkennen. Außerdem auf der CD: eine betörende Begegnung zwischen Harfe und Fender-Rhodes-Piano und Contrainte de lumière für Kammerensemble, in der Pattar das Thema aus Bachs Musikalischem Opfer zerdehnt und «übermalt».
Die Musiker des französischen Ensembles «L’Instant Donné», das in diesem Jahr auf sein zehnjähriges Bestehen zurückblickt, arbeiten den Detailreichtum der Musik präzise und klangsinnlich heraus. Kein Wunder – das Ensemble arbeitet von Beginn an mit Pattar zusammen und hat mittlerweile 25 Werke von ihm im Repertoire.

Mathias Nofze