Feige, Daniel Martin

Philosophie des Jazz

Verlag/Label: Suhrkamp, Berlin 2014, 142 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 94

Daniel Martin Feige, wissenschaft­licher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich «Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste» (puh!) an der Freien Universität Berlin und selbst Musiker, hat sich Gedanken darüber gemacht, was Jazz eigentlich ist. Das Wort «eigentlich» benutzt er «eigentlich» nicht, denn dieses einschränkende Wort würde ja bedeuten, dass der Jazz etwas (ganz) anderes ist als Jazz. Der Jazz, eine «in den USA aus der Begegnung des Schwarzen mit der europäischen Musik entstandene künstlerische Musizierweise» (Joachim Ernst Berendt), findet längst
in allgemeingültigen Definitionen und unabdingbaren Zutaten (Swing, Phrasierung, Improvisation) seine Berechtigung als inzwischen weltumspannendes musikalisches Phänomen. Dem schließt sich auch Daniel Martin Feige an, betont aber unüberhörbar, dass er keine Einführung in die Geschichte des Jazz oder eine Vorstellung seiner stilprägenden Figuren im Sinn hatte, als er sich philosophisch dem Jazz näherte.  
Feige fragt vielmehr, was eine Philosophie des Jazz ist, welche philosophischen Grundlagen der Jazz sein Eigen nennt, ob er eine Art künstlerische Musik und «warum und inwieweit der Jazz ein interessanter Gegenstand für das philosophische Nachdenken ist.» Er stellt seine Überlegungen in ein größeres Verhältnis, das zwar den Rahmen
der Musikphilosophie gelegentlich verlässt und in den sozusagen übergeordneten kunstphilosophischen
Gesamtzusammenhang vordringt. Gleichwohl besteht Feige darauf, die Kunstphilosophie von der Musikphilosophie insofern zu trennen, als die Kunstphilosophie sich nur selektiv mit der Musik auseinandersetzt, nämlich dann, wenn es sich bei der Musik um künstlerische Musik handelt. Eine künstlerische Musik in diesem Sinne ist der Jazz wahrhaftig nicht, bedenkt man einmal seine Entstehungsgeschichte und seine daraus entstandene Weiterentwicklung.
Ausführlich beschäftigt sich der Autor mit dem «Instrument» der Improvisation, die im Jazz eine, wenn nicht die bedeutende Rolle spielt. Sie ist der lebendige, kompromisslose Part einer «Musik in der Performance selbst, verstanden als das
jeweilige konkrete raumzeitliche musikalische Ereignis», das im Gegensatz zur Komposition keinerlei notierte Spielanweisungen benötigt. Dem kann ohne Weiteres gefolgt werden, auch der (nicht neuen) These, dass der Jazz auch ohne die in die Neue Welt importierte europäische Kunstmusik real geworden wäre. Doch unter philosophischer Betrachtungsweise scheint diese etablierte Behauptung sich in Luft aufzulösen. Feige: «Improvisation gehört genauso wenig zu so etwas wie ‹dem Wesen› des Jazz wie die Komposition zu so etwas wie ‹dem Wesen› der europäischen Kunstmusik gehört – zumindest dann nicht, wenn man unter Wesen etwas versteht, das eine notwendige Bedingung meint.» Die Gegenüberstellung sei in dieser Schärfe als Merkmal zweier verschiedener Musikarten «schlichtweg falsch.»
Daniel Martin Feiges Philosophie des Jazz ist ein schwerer Brocken, der die volle Aufmerksamkeit des Lesers fordert. Aber das Buch zeigt sich als spannendes (philosophisches) Abenteuer, je mehr sich die Gedanken vom Jazz entfernen und in einen philosophischen Überbau hineingeraten.

Klaus Hübner