Blondeau, Thierry / D' Adamo, Daniel

Plier – Déplier

Verlag/Label: Cuicatl YAN.003
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet:
1

Mit der Dokumentation einer Ko­laboration der beiden Komponisten Thierry Blondeau (*1961) und Daniel D’Adamo (*1966) gelingt dem Quatuor Béla nach seiner wuchti­gen Einspielung der Streichquartette György Ligetis ein neuer diskografischer Coup. Tatsächlich ist mir seit längerer Zeit keine CD mehr begegnet, die mich – in positivem Sinn – dermaßen irritiert hat, dass ich sie gleich im Anschluss an das erste Anhören zwei weitere Male durchlaufen ließ.
Die Originalität des fast 54 Minuten langen Titels Plier – Déplier besteht in der prinzipiellen Unberechenbarkeit der aneinandergereihten 19 Miniaturen. Deren Klangszenarien klaffen auseinander, weil sie aufgrund der unterschiedlichen Autorschaft divergierenden musikalischen Prinzipien gehorchen: nämlich je­nem der nach außen gerichteten, energetischen Dynamik und jenem des Hineintastens in die Mikrostrukturen des Tonsatzes. In beiden Fällen sind es die Details, denen die vier Musiker aus Lyon bei ihrer Wiedergabe nachspüren: dem Zusammenfügen der Klänge aus feinen, oftmals kaum die Saiten berührenden Bogenstrichen; der Integration von auf dem Korpus erzeugten Knirsch-, Knack- und Reibelauten; der Feinabstufung von Klangfarben bei sich ändernden Strichgeschwindigkeiten, kreisendem Bogen, Berührung der Bogenstange mit den Saiten oder Streichen hinter dem Steg; dem brüchigen Umspringen von einem Oberton in den nächsten beim Tasten nach Flageoletts; oder dem Knattern weit herab gestimmter Saiten, mit dem die Komposition am Ende geradezu verröchelt.
Vieles von dem, was hier zu hören ist, mag man zwar aus dem Kontext anderer zeitgenössischer Streichquartette kennen; dass von den akribisch umgesetzten Unreinheiten des Streicherspiels dennoch eine eigenartige Faszination ausgeht, verdankt sich einerseits der Subtilität, mit welcher sich die Musiker selbst bei dynamischen Ausbrüchen auf diesem Klangterrain bewegen, andererseits aber auch der ganz nah am Geschehen lokalisierten Mikrofonierung, die jede noch so kleine Nuance einfängt, sodass man sich beim Hören mitten im Geschehen wähnt.
Der ausgedehnten Gemeinschaftskomposition stehen als willkommene Ergänzung zwei ebenso ori­ginelle Einzelwerke gegenüber, in denen die Personalstilistik der beiden Komponisten deutlicher hervortritt: In Blondeaus Last Week-End on Mars werden die Streichquartetttexturen elektronisch verfremdet und wachsen zu einer pulsierenden Sound­scape aus Bogenattacken, Glissandofragmenten, gestrichenen Tönen und anderen Elementen zusammen, die nach und nach immer stärker von ihrem Ursprung abrückt. In D’Adamos Découper hingegen unterliegt die Organisation der Klangfarbenverläufe den variativen Ordnungsprinzipien einer «petite passacaille», was die Musik mit allerlei historischen Konnotationen durchtränkt. Dass die Informationen zu dem Projekt sich auf wenige gemeinsam verfasste Textzeilen in einer Faltbeilage beschränken, fällt hier kaum ins Gewicht, da sich die CD durch ihre Wirkung erklärt und im Grunde keinerlei unnötiger Worte bedarf.

Stefan Drees