Johnson, Tom

Questions

Music and Questions | Music with Mistakes | Same or Different

Verlag/Label: Maria de Alvear World Edition 0020
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/01 , Seite 86

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 5

Was hören wir eigentlich, wenn eine Melodie oder Akkordfolge zwei Mal hintereinander abgespielt wird? Ist es beide Male dieselbe Melodie oder doch vielmehr die gleiche? Der griechische Philosoph Heraklit behauptete, es sei nicht möglich, zwei Mal in denselben Fluss zu steigen. Lässt sich diese Überlegung auch auf die Musik übertragen? Kann man mehrmals denselben Ton spielen?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich der amerikanische Komponist Tom Johnson in der Komposition Same or Different. Der Hörer wird mit unterschiedlichen musikalischen Figuren konfrontiert, die auf einem Klavier gespielt werden: kurze Fragmente, ein paar Töne oder überschaubare Akkordzusammenstellungen. Der Pianist wiederholt das Material mehrmals: manchmal variiert, dann wieder ohne Veränderungen. Das Resultat ist eine Übung, die aufmerksames Hinhören schult, und gleichzeitig auch eine philosophische Studie.
Music with Mistakes folgt einem ähnlichen Prinzip. Diesmal steht ein Bassetthorn im Mittelpunkt. Eine Erzählerin erläutert, dass die Komposition aus zehn kurzen Fragmenten besteht, die jeweils sieben Mal wiederholt werden. In sechs Wiederholungen sei allerdings ein «Fehler» enthalten und lediglich eine Version sei «richtig». Welche Fassung die «richtige» ist, wird nicht gesagt. Man wird dazu aufgefordert, es selber herauszufinden. Das ist allerdings nur sehr schwer möglich, wenn nicht sogar unmöglich. Es fehlt schließlich eine Orientierung, ein Maßstab, der eine Klassifikation in «richtig» oder «falsch» erlaubt. Diese Situation schafft neue Fragen, die Johnson zweifellos provozieren möchte. Gibt es überhaupt Fehler in der Musik? Existieren «falsche» Töne? Und was zeichnet eigentlich einen Fehler aus?
Durch die dem Stück vorhergehende Narration und die darin enthaltene Aufgabenstellung fesselt Johnson zudem die Aufmerksamkeit seiner Audienz, die womöglich beim Hören einer derart minimalistischen Komposition schnell die Geduld verlieren würde. Hören wird in diesem Fall zu einem spielerischen Akt, der auch pädagogische Konnotationen aufweist. Man hört gerne zu, da es Spaß macht.
Abschließend sei die Komposition Music and Questions erwähnt. Zu hören ist Tom Johnson, der mit Glocken eine Melodie spielt, die von den Fragen der Erzählerin Carol Robinson begleitet wird. Die Melodie besteht aus fünf Tönen, die in unterschiedlichen Variationen wiedergegeben werden. Das gilt auch für die Fragen, die um die Rezeption der Musik kreisen. Musik und Text verschränken sich und bilden unterschiedliche Bedeutungsebenen. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Johnson mit den einfachsten Mitteln die komplexesten Ergebnisse kreiert, de­ren musikalischer und intellektueller Nachhall noch lange zu spüren ist.

Raphael Smarzoch