Butcher, John
Resonant Spaces
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4
Der amerikanische Jazzflötist Paul Horn gab 1968 die Richtung vor, als er auf seinem Album Inside the Taj Mahal die einzigartige Klanglichkeit des indischen Mausoleums improvisatorisch erkundete. Zwanzig Jahre später machte Pauline Oliveros Aufnahmen in einer Zisterne in Fort Worden im amerikanischen Bundesstaat Washington mit einem Nachhall von 45 Sekunden. Derartige Meditationen in Klang und Raum förderten die Einsicht zu Tage, dass es Klang an sich gar nicht gibt, sondern dass Klänge nur in Verbindung mit ihrer Umgebung existieren, sie also immer raum- und umgebungsabhängig sind. «Sound is relational», heißt die Formel im Englischen.
An sechs verschiedenen Orten in Schottland hat der englische Avantgarde-Saxofonist John Butcher, der seit den 1980er Jahren ein fester Bestandteil der britischen Freejazz-Szene ist, diese Erkenntnis durchdekliniert. Butcher ließ sich musikalisch auf die Akustik des jeweiligen Raums ein, formte und gestaltete seine Improvisationen im Dialog mit den verschiedenen Bauwerken oder Naturdenkmälern.
Das Hamilton Mausoleum in Lanarkshire ist ein massives Sandsteingebäude mit einer 37 Meter hohen Kuppel, das Butcher inspirierte, mit einzelnen überlegt platzierten Tönen den langen Nachhall auszuloten und ein Klangfarbenspektrum von abgedämpft bis schillernd zur Geltung zu bringen. In Wormit in Schottland wählte er eine andere Strategie, indem er das Echo eines riesigen Wasserspeichers nutzte, um schnell fließende Tongirlanden zu massiven Klangkaskaden zu verdichteten. Das Musizieren im Freien auf den Orkney-Inseln um die stehenden Steine von Stenness war dagegen eher ein Kampf mit den Elementen, wobei Butcher sich mit den Perkussionsgeräuschen der Fingerklappen des Saxofons und rauhen Langtönen in das Pfeifen des Winds einzuklinken versuchte, während er die Klanglichkeit einer Höhle in Durness in den schottischen Highlands mit experimentellem Rohrgebläse sowie überblasenen Spalt- und Mehrklängen zu nutzen suchte.
Durch die sorgfältige Auswahl von geeigneten Örtlichkeiten und den sensiblen Umgang mit ihrer Akustik wurden die Begegnungen zu einem spannenden Unternehmen. Vielleicht inspirieren sie weitere experimentelle Improvisatoren dazu, die Konzerträume zu verlassen und sich auf neue Orte und neue Resonanzen einzulassen.
Christoph Wagner