Möller, Torsten
Riesige Materialsammlung
Eine DVD-audio zur Ars Acustica Ars Intermedia
Wenn die Donaueschinger Musiktage der Katalysator neuer komponierter Musik sind, so ist das beim WDR beheimatete Studio Akustische Kunst die Brutstätte eines immanent radiophonen Genres. 1969 wurde das Studio unter Leitung Klaus Schönings gegründet und hat bis zum heutigen Tage unzählige Werke produziert, die schwer auf einen Nenner zu bringen, irgendwo zwischen Klangkunst, Musik, Hörspiel und Literatur angesiedelt sind. Gäste des Studios kamen aus aller Herren Länder: darunter so prominente Namen wie John Cage, Pierre Henry, Mauricio Kagel, Luc Ferrari, Vinko Globokar oder aus dem weniger kompositionsgeprägten Milieu Friederike Mayröcker, Ernst Jandl oder der Lautpoet Carlfriedrich Claus.
Mit allen Genannten (und vielen anderen) hat Klaus Schöning im Lauf seiner Redaktionsleitung von 1969 bis 2001 gesprochen. Herausgekommen ist ein umfassendes Kompendium in Form einer DVD audio, die ausgesprochen nutzerfreundlich gestaltet ist: In Form einer Website erscheinen Fenster zu jedem Komponisten, innerhalb derer schriftliche Zusammenfassungen der jeweiligen Werke zu finden sind. Ausführlicher informieren dann die unter «Hörräume» abrufbaren Gespräche. Zusätzlich gibt es die Rubrik «Empfehlungen» mit Verweisen auf CDs mit den besprochenen Arbeiten. Wer sich auf der Zugfahrt oder beim Wandern inspirieren lassen will, kann die Gespräche mit den insgesamt knapp fünfzig Künstlern als iPod mit auf die Reise nehmen.
Von der Form zum Inhalt: Wesensbedingt sind die Interviews radiophon angelegt. Das heißt, dass anders als in Textform nicht mit komprimierten Inhalten zu rechnen ist. Biografisches «Beiwerk» als Einstieg für den interessierten Radiohörer spielt oft eine Rolle, so zum Beispiel in Klarenz Barlows Kommentaren zu seinem 1980 beim WDR produzierten «CCU Metropolis Calcutta». Als nicht unproblematisch erweist sich die «offensive» Interviewführung Klaus Schönings, der zu selten die Muße hat, sein Gegenüber aussprechen zu lassen und oft mit unnötig langen Kommentaren einen möglichen Fluss unterbricht. Ein Gespräch mit Luc Ferrari, das zudem partiell übersetzt wird, wird so zu einem hektischen Hin und Her, das den von Schöning beschriebenen «besonderen Wert» des Gesprochenen, nämlich dessen ganz «eigene, unverwechselbare Artikulation» und einen «über das Geschriebene hinausgehenden Klangsinn» hemmt.
Das Verdienst der riesigen Materialsammlung schmälert das wenig. Zu Recht schreibt Schöning im beiliegenden Text, dass es sich um eine Dokumentation handelt, die geprägt ist von «Reflexion und tastendem Aufbruch in die weite terra incognita». Diese kann nun sowohl der interessierte Laie als auch der Wissenschaftler durchs gesprochene Wort erkunden. Wer bei all den Worten verständlicherweise Lust bekommt, akustische Kunst direttissima zu hören, kann auf die Wergo-CD-Edition «Ars Acustica» zurückgreifen. Viele der auf der DVD besprochenen Werke sind hier in Gänze aufgenommen.
Torsten Möller