Marbe, Myriam
Ritual für den Durst der Erde / Serenata / Trommelbass / Requiem
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5
In seiner Vorschule der Ästhetik begreift der Dichter Jean Paul die Idylle musikalisch: als Versuch, den «Misston des Leidens» in Wohllaut zu wandeln. Eine Deutung, die dem Selbstverständnis der rumänischen Komponistin Myriam Marbe (1931-97) recht nahe zu kommen scheint. Wie auch dem ihres späten Schülers Thomas Beimel, der dieses Schaffensporträt mit einem überaus kompetenten Textbeitrag bereichert. Nicht nur, dass er Triftiges über ihre Wesensart, ihre Denk- und Schaffenswelt zu sagen weiß. Er räumt auch auf mit dem medial vermittelten Negativbild des Balkanlandes. Am Ende ahnt der Leser, was es für sie als Künstlerin bedeutete, im Land zu bleiben und die entwürdigende Diktatur Ceaus¸escus zu ertragen, ohne politisch und ästhetisch «klein beizugeben».
Was anfangs eine Art Divertimento für ein befreundetes Streichtrio werden sollte, geriet Marbe 1985 zur «Parabel über den Umgang mit einer aggressiven Staatsmacht». In Trommelbass beginnt irgendwo eine Trommel zu schlagen, erst unscheinbar, dann immer bedrohlicher. Statt Gegengewalt zu üben, setzt die Streichermusik ruhig ihren «mit kleinen Vögeln und diatonischen Motiven» dekorierten Weg fort. Das Licht schien in die Düsternis, und die Düsternis begriff es so ließe sich der friedliche Herzschlag umschreiben, den die Trommel am Ende annimmt: utopischer Vorschein einer humaneren Welt.
Heiterkeit atmet die 1974 geschriebene Serenata für Klarinette, Streichorchester, Celesta, Klavier und Schlagzeug mit dem vielsagenden Untertitel Eine kleine Sonnenmusik. «Ich wollte einmal eine freundliche Musik mit den Sprachmöglichkeiten unserer Zeit schreiben», notierte die Komponistin dazu. Modal getönte, nach Maßgabe des Goldenen Schnitts sich vergrößernde Klangwellen führen allerlei Treibgut mit sich: (imitiertes) Vogelgezwitscher, ein Tanzfragment aus Bartóks Sammlung transsilvanischer Volksmusik, Erinnerungen an Mozarts Kleine Nachtmusik
Am Ende hinterbleibt eine einsame, spieluhrartige Weise (Papagenos Glockenspiel?). Ein Ausklang, der von fern an die Schlusstakte von Schnittkes Klavierquintett erinnert.
Schon 1968 in einer Zeit totaler Isolation, da rumänischen Künstlern sogar der Besuch des «Warschauer Herbstes» verwehrt war setzte Myriam Marbe dem sozialistischen Folklorekult ein Vokalwerk entgegen, das sich auf alte rumänische Regenzauber-Verse stützt: Ritual für den Durst der Erde. Ursprünglich für eine Amateurgruppe gedacht, genießen Stimmen, Responsorien-Chor und Schlagzeug reich bemessenen Gestaltungsspielraum. Längst trug der Bukarester Kammerchor «Madrigal» unter Marin Constantin das Stück um die Welt.
Fra Angelico Marc Chagall Voronet hat Myriam Marbe ihr Meisterwerk Requiem für Mezzosopran, Chor und Ensemble (1990) untertitelt. In den Bildern der beiden Maler und den Außenfresken des rumänischen Klosters Voronet sah die Komponistin Blautöne, die ins Grenzenlose hinausweisen. Textlich und musikalisch zehrt das bewegende Werk von Totenklagen und Trauerritualen der Christenheit und des Judentums.
Lutz Lesle