ROOR

CDs des Ensemble Modern [3]: Werke von Luciano Berio, Uwe Dierksen, Arnulf Hermann, Héctor Moro, Helmut Oehring, Folke Rabe, Marcus Antonius Wesselmann, Helmut Zapf und Frank Zappa

Verlag/Label: EMCD-014 (2CDs)
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/01 , Seite 85

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Mit schöner Regelmäßigkeit bietet das Ensemble Modern auf dem hauseigenen Label seinen Mitgliedern die Mög­lichkeit, sich auch solistisch in Szene zu setzen. Schließlich sind Neue Musik-Formationen Kollektive versierter Individualisten, deren vielfältige musikalische Horizonte den Perspektivenreichtum eines Ensembles erst ermöglichen. Jetzt sind es Rafael Zambrzycki-Payne (Violine), Eva Böcker (Violoncello) und Uwe Dierksen (Posaune), die ihre Eloquenz unter Beweis stellen dürfen, ohne dass hier artistische Show-Programme schnelle Kasse machen sollen. Stattdessen gibt es reichlich interessante Musik, die über das Format gängiger Instrumental-Monologe weit hinausgeht und elektronische Mittel dabei ebenso einbezieht wie die menschliche Stimme.
Ein veritables Konzeptalbum im Doppelpack, das fast ausschließlich Eigenkompositionen und Uraufführungsmaterial enthält, liefert Posaunist Uwe Dierksen ab und tritt hier als Interpret, Improvisator, Komponist und Band-Mitglied gleichermaßen in Erscheinung. CD 1 rekapituliert Dierksens höchst vitales Soloprogramm «ROOR», das elektronische Verfahren, Sampling und Computermanipulation als Mittel der Improvisation benutzt. Dierksens «Halal» (2006) präsentiert dabei beispielhaft dessen Vorliebe für abgedrehte Collagen und Stil-Mixes die Versatzstücke aus Jazz, Pop und Elektro verwursten. In «Loom» (2004), wo ein melancholischer Monolog zu tosendem Lärm anwächst, finden dazu auch Drumpad und Theremin Verwendung, die Improvisation hingegen imitiert elektronische Sounds mit rein instrumentalen Mitteln unter Zuhilfenahme von Quartenventil und Mundhöhlenveränderung. Vierteltönige Klangtechniken und virtuose Gelenkigkeit zwischen Kontinuum (Glissando) und Melodie geben sich auch im titelgebenden «ROOR» von Arnulf Hermann die Klinke in die Hand, wo Instrumentenkorpus und Musikerkörper, Klang und Laut gestisch miteinander verschmelzen, und irgendwann fragt man sich, warum eigentlich kein Globokar-Stück auf dieser CD ist.
Dass nicht nur Berio («Sequenza V»), sondern auch Zappa eine feste Größe im musikalischen Koordinatensystem von Uwe Dierksen darstellt, zeigt CD 2, wo neben Solo-Stücken, die als virtuose Monologe immer wieder den Sprachcharakter des Instruments in den Vordergrund stellen (Helmut Oehrings «PHILIPP», Helmut Zapfs «Posaunenklang»), Stücke der Mavis Band im Blickpunkt stehen, was einer ziemlich buntscheckigen Form des Jazz-Rock gleichkommt.

Dirk Wieschollek