Gordon, Michael / Lang, David / Wolfe, Julia

Shelter

Verlag/Label: Cantaloupe CA21083
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 78

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Michael Gordon, David Lang und Julia Wolfe unterlaufen mit ihrer Arbeit seit 25 Jahren die gängigen Vorstellungen davon, was einen Komponisten auszeichnet. Neben ihren je eigenen Arbeiten treten sie immer wieder als kompositorische Ko-Autoren auf. Sie blicken dabei nicht nur hinüber zu Spielstätten von Jazz, Rock und Pop. Sie klettern, angetrieben von ihrer unbändigen musikalischen Abenteuerlust, auch über die imaginären Zäune, die das Terrain der Avantgarde von Populärem abgrenzen. Um der Nähe zu ihren ausgewählten Abenteuerspielplätzen willen haben Gordon, Lang und Wolfe 1987 in New York das Festival «Bang on a Can» gegründet und damit eine Veranstaltungsplattform, in der die Grenzüberschreitung Programm ist für Komponisten wie für Interpreten.
«Shelter», beauftragt für «The Next Wave Festival» der Brooklyn Academy of Music, der musikFabrik und der Kunststiftung NRW, wurde im März 2005 in Köln als akustisch-visuelles Szenario (Film: Bill Morrison) uraufgeführt. «Shelter» ist nach «The Carbon Copy Building» (1999) und «Lost Objects» (2001) die dritte gemeinsame Arbeit von Gordon, Lang und Wolfe und die zweite Zusammenarbeit mit der Librettistin Deborah Artmann. Ihr Text ist aufgeteilt in sieben Kapitel respektive Sätze, die im weitesten Sinn oratorischen Charakter haben. Verhandelt wird der Mensch als verletzliches, schutzbedürftiges Wesen und seine wie auch immer gearteten Versuche, sich Räume der Zuflucht zu schaffen, sei es im eigenen Haus, in der Nähe und in der Fürsorge einem anderen Menschen gegenüber, sei es in einem religiösen Bekenntnis und dessen kulturellen wie spirituellen Ritualen.
Geschrieben wurde «Shelter» von dem Komponistentrio für ein mehr oder minder klassisch besetztes 17-köpfiges Instrumentalensemble, zu dem allerdings ein Elektrobass und eine Elektrogitarre gehören. Ergänzt wird dieses Ensemble durch drei weibliche Solostimmen.
Nun hat das Komponistentrio nicht Note für Note gemeinsam zu Papier gebracht. David Lang hat Teil eins, vier und sechs geschrieben, Michael Gordon Teil zwei und sieben. Julia Wolfe hat Teil drei und fünf gestaltet. Leider gibt das CD-Booklet darüber keine Auskunft. Das muss man auf der Seite der musikFabrik recherchieren. Man könnte sagen, dies sei unwichtig, weil «Shelter» als Gemeinschaftsarbeit zu verstehen sei – ist es aber nicht. «Shelter» ist einerseits perfekte kompositorische Gemengelage von im Geiste eng verbundenen Musikdenkern und -machern. «Shelter» ist aber auch Ergebnis von sehr persönlichen Handschriften, die den Postminimalismus neu durchdeklinieren. Lang setzt in «Before I Enter» – einer Aufzählung dessen, was Menschen tun, wenn sie in ihr Zuhause zurückkehren – auf die Kraft der schier puren Wiederholung von Klang-Streifen, vokal und instrumental, die er sanft energetisch übereinanderschiebt. Gordon schmilzt in «Is the Wind» repetierte Rhythmen zu einer Art Neobruitismus um. Wolfe gestaltet in «The Boy Sleeps» die minimalistische Antwort auf die Spiritualität gregorianischer spiritueller Gesänge. Das Ensemble Signal mit Brad Lubman am Pult, der schon die Uraufführung dirigierte, und die drei Sängerinnen haben das in der vorliegenden Einspielung kongenial im Timing und in der Soundmischung realisiert.

Annette Eckerle