Jungheinrich, Hans-Klaus (Hg.)

Sometime Voices

Der Komponist George Benjamin

Verlag/Label: Schott Music («edition neue zeitschrift für musik»), Mainz 2012, 120 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 90

Das Schaffen des englischen Komponisten George Benjamin stand im Mittelpunkt eines Symposions, das am 18. September 2011 in der Alten Oper Frankfurt am Main stattfand und dessen Beiträge nun in einem Band der «edition neue zeitschrift für musik» vorliegen. Benjamin, Jahrgang 1960, ist der erste britische Komponist, der im Rahmen dieser Reihe gewürdigt wird.
In Anbetracht der Tatsache, dass England, wie Herausgeber Hans-Klaus Jungheinrich in der Schussdiskussion anmerkte, «immer noch oder auch schon nicht mehr ganz zu den randständigen europäischen Musiknationen gehört», mutet es verständlich an, dass ausgerechnet Benjamin der «Auserwählte» ist: Studierte er doch bei Messiaen in Paris, arbeitete unter anderem am IRCAM und lässt sich keiner wie auch immer gearteten Schule oder Richtung zuordnen, auch nicht nationaler, sprich: englischer, Provenienz. Es handelt sich bei ihm vielmehr, so wiederum Jungheinrich, um den Vertreter einer «authentisch ‹europäischen› Moderne».
Die verschiedenen Beiträge des Symposions beleuchten jeweils bestimmte Facetten und Teilbereiche von Benjamins Œuvre – seien es einzelne Genres, wie etwa Hartmut Lück in seinem Aufsatz «Vokalmusik als imaginäres Theater» oder Reinhard Kager in «Ein kurzer Flirt mit Folgen», in dem sich der Autor mit Benjamins wenigen Ausflügen in das Gebiet der elektronischen Musik befasst, oder kompositionstechnische Spezifika wie Marie Luise Maintz in «LICHT. Klangmetaphern in George Benjamins Werken». Maintz führte außerdem ein ausführliches Interview mit Benjamin über dessen aktuelle Oper Written on Skin, das in deutscher und englischer Sprache abgedruckt ist. Da Benjamin ein Komponist ist, der langsam und gewissenhaft arbeitet und daher bislang lediglich etwas über dreißig Werke vorgelegt hat, findet sich in den Symposions-Beiträgen beinahe sein gesamtes Schaffen abgedeckt – mit Ausnahme der Werke für Solo-Klavier. Auf einige Kompositionen wird auch von verschiedenen Autoren eingegangen, etwa auf die Gesangsszene Sometime Voices nach Worten aus Shakespeares The Tempest, die der Veranstaltung auch ihren Titel gab.
Es ist den Teilnehmern gelungen, in der Summe ihrer Beiträge tatsächlich ein recht umfassendes Bild des Komponisten in (fast) allen Facetten seines Schaffens zu zeichnen – und dies größtenteils, ohne zu einer elaborierten Fachsprache zu greifen, die lediglich den Eingeweihten zugänglich ist. Benjamin steht als ein Tonsetzer vor uns, der größtes Gewicht auf kompositorisches Handwerk legt, der trotzdem einer gewissen Spontanität vor der totalen Konstruktion das Primat einräumt sowie mit Erfolg das Ziel verfolgt, sich nie zu wiederholen, in jedem neuen Werk vielmehr ein «Unikat» zu schaffen. Als typisch britisch mag man lediglich die Tatsache ansehen, dass ihm Ideologien fremd sind und er keine Berührungsängste zu außermusikalisch-programmatischen Aspekten aufweist, ohne dadurch jedoch jemals in eine plumpe Nachahmungsästhetik abzugleiten. Dieses Buch macht neugierig auf das Werk eines ebenso perfektionistischen wie unprätenziösen Kom­ponisten!

Thomas Schulz