Cage, John

Sonatas & Interludes (1946-1948)

Verlag/Label: hat[now]ART 152
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/06 , Seite 82

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Zwei Jahre arbeitete John Cage an den Sonatas & Interludes. 1948 stellte er sie fertig. Im Gespräch mit Daniel Charles meinte Cage, ein präpariertes Klavier gebe einem einzigen Klavierspieler
das Äquivalent für ein ganzes Schlagzeug-Orchester in die Hände. Der Effekt sei eine explodierende Klaviatur und gleichzeitig, wie Charles hervorhebt, ein Prinzip der Ökonomie.
Faszinierend ist, dass 64 Jahre nach ihrer Fertigstellung die 16 Sonaten und vier Interludien immer noch frisch wirken. Die Stücke sind gut gealtert. Entstanden sind sie aus zahlreichen Improvisationen. Cage probierte unterschiedliche Materialien am Klavier aus, experimentierte mit klanglichen Konfigurationen und hielt anschließend die Resultate auf Notenpapier fest. Eine Arbeitsweise, die nicht zuletzt auch die klangliche Erscheinung der Stücke beeinflusst hat. Das Werk klingt vital, von Spontaneität bestimmt.
Manche der Klänge erinnern an fernöstliche Impressionen. Man meint ein Gamelanorchester zu hören. An anderer Stelle verstimmen Cages Präparationen einzelne Klaviersaiten gegeneinander, so dass das Klavier wie ein kaputter Spielautomat klingt. Subtilere Effekte sind auch möglich. Manchmal muss man genau hinhören, um zu erkennen, was mit dem Klavierklang ge­nau passiert ist, so dezent und nuanciert tritt die klangliche Manipulation in Erscheinung.
Wissenschaftlicher Impetus und experimenteller Forschergeist bestimmen die Sonaten und Interludien. Merkmale, die den Komponisten James Tenney bereits als jungen Teenager begeisterten. Mit 16 Jahren besuchte er eine Aufführung des Werks. Cage war der Solist. Nun sitzt Tenney am präparierten Klavier. Im Vergleich zu anderen Einspielungen fokussiert er sich ausschließlich auf die klanglichen Eigenheiten der Präparationen. Die melodischen Merkmale der Stücke, ihr klanglicher Exotismus, den andere Interpreten für gewöhnlich herausarbeiten, interessieren ihn nicht. In Tenneys Interpretation stehen die rhythmischen Eigenheiten des Werks im Vordergrund. Auffällig ist, mit welcher mechanischen Präzision er die Stücke durchdringt. Tenney spielt akkurat, wie ein Uhrwerk. Die Sonaten und Interludien werden in seinen Händen zu einer mathematischen Arbeit.

Raphael Smarzoch