Adams, John Luther

songbirdsongs / Strange Birds Passing

Verlag/Label: mode 240
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/05 , Seite 86

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Die Idee, Mensch und Natur durch Kunst in Einklang zu bringen, ist ein hehrer Wunsch, der im Zeichen von Klimawandel und fortschreitender Umweltzerstörung brisanter denn je erscheint. Niemand macht damit künstlerisch so ernst wie der New Yorker John Luther Adams, dessen Wahlheimat seit längerem (wen wundert’s) Alaska heißt. Bei der Suche nach einer «Ökologie der Musik» ist er einer sinnstiftenden und bewusstseinserweiternden Identität von (natürlicher) Lebenswelt und Kunstproduktion auf der Spur: «The central truth of ecology is that everything in this world is connected to everything else. […] We must reintegrate our fragmented consciousness and learn to live in harmony with the larger patterns of life on earth, or we risk our own extinction. As a composer it is my belief that music can contribute to the awakening of our ecological understanding. By deepening our awareness of our connections to the earth, music can provide a sounding model for the renewal of human consciousness and culture», lautet die Utopie von Adams programmatischem Essay «In Search of An Ecology of Music».
Wenn es um die sprechende Einbeziehung von Natur ins musikalische Kunstwerk ging, spielte – naturgemäß – der Vogelgesang stets eine prominente Rolle, ob nun in Rameaus Le rappel des oiseaux, Haydns Jahreszeiten oder Mahlers sinfonischen Naturlauten, ganz zu schweigen von Oliver Messiaens mit ornithologischer Gewissenhaftigkeit erforschtem Materialfundus. Auch für Adams begann das Komponieren mit den Gesängen einheimischen Fluggetiers, die der Komponist zu Beginn der 1970er Jahre umfangreich aufzeichnete, als er auf einer Farm in Georgia lebte. Resultat und somit erstes kompositorisches Manifest seiner Klang-Ökologie in Zwiesprache mit der Schöpfung waren die songbirdsongs für zwei Pic­coloflöten und Perkussion (1974-79/ 2006). Adams transkribierte dazu die Gesänge von annähernd zwanzig nordamerikanischen Vogelarten in neun Stücken, die weder Stilisierung noch Imitation sein sollten, wobei er besonderen Wert auf die Herausarbeitung der Variabilität der einzelnen Vogelstimmen legte. Gerade die flexiblen und kommunikativen Aspekte des Vogelgesangs sollten im Rahmen offener Form auf die Musizierpraxis der Spieler übertragen werden, die über Reihenfolge und Timing ihrer Phrasen frei entscheiden können. So weit, so gut …
Die denkbar lebendigen und differenzierten Interaktionen des Callithumpian Consort sind von kompositorischer Seite aber am Ende doch zu sehr vom Prinzip affirmativer Mimikry getragen, um wirklich spirituelle Erfahrungsräume zu öffnen, auch wenn Perkussion und Holzbläser in Sätzen wie «Morningfieldsong», «August Voices», «Mourning Dove» oder «Evensong» klangfarblich sublime Echos, Dialoge und Interferenzen produzieren …
Wie schrieb einer mal: Man merkt die Absicht und ist verstimmt.

Dirk Wieschollek