Zimmermann, Walter

Songs of Innocence

Verlag/Label: mode 245/46 (2 CDs)
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/02 , Seite 86

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Sehr eigentümlich sind sie, die Klänge aus den Händen Walter Zimmermanns. Viele Impulse hat der 1949 in Schwabach Geborene aus der Volksmusik seiner fränkischen Heimat empfangen. Er führte Gespräche mit Bauern und studierte alte ländliche Tanzbücher mit Melodien aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Eingang gefunden haben sie in zwanzig «Fränkische Tänze», die höchsten Respekt zeigen vor archaischer Einfachheit. Durch wohlbedachte Skordaturen reproduziert Zimmermann die Melodien in Form von Flageoletts und in reiner Stimmung. Es resultiert ein wunderbar sphärisch entrücktes Klangbild – ein avanciert zeitgenössischer Spiegel vergangener Zeiten, der wahrlich nichts zu tun hat mit jener fragwürdigen «Neuen Einfachheit», dessen Opfer auch Zimmermann wurde.
Eindeutiger Charakterisierung entziehen sich die Werke generell. In dem viersätzigen «Festina Lente» ist das Paradox von Schnelligkeit und Langsamkeit thematisiert. Zwar ist der Grundpuls meist gravitätisch langsam. Andererseits kommen immer wieder mikrotonale Schwebungen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten vor. An- und aufgeraut sind die Klänge, behutsam gesetzt, dabei von einer Stil­sicherheit geprägt, die freilich nicht gleichzusetzen ist mit einem extrovertiert kompositorischen Selbstbewusstsein à la Wolfgang Rihm oder Steve Reich.
Zimmermann ist ein Skeptiker der tiefschürfenden Art. Fantastisch spürt er dem Wesen einfacher Lieder nach, die er sich von Nürnberger Kindern vorsingen ließ. Spaßige Melodien sind zu hören («Eine kleine Mickymaus»), dann direkt danach – ebenfalls originär von den Kindern vorgesungen – weit ernstere Sujets in Form des Kriegsliedes «Maikäfer flieg». Das Streichquartett mit dem jungen und äußerst schmiegsamen Berliner Sonar Quartett dient als so etwas wie ein Resonanzraum. Höchst sensibel folgen die Musiker dem Tonfall der Lieder. Wer ganz akkurat und analytisch hinhört, der würde den ein oder anderen thematischen Bezug oder das ein oder andere Intervall aus den Liedern heraushören. Die Frage aber bleibt, ob das die adäquate Hörpers­pektive ist. In dieser hochsensiblen, durchaus auch philosophischen Musik geraten bodenständige Kompositionstechniken einfach zur Nebensache.

Torsten Möller