Arns, Inke / Daniels, Dieter

Sounds like Silence

Cage – 4'33'' – Stille / 1912 – 1952 – 2012

Verlag/Label: Gruenrekorder, Gruen 116
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/01 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

«Müssen Sie Ihre seriöse Arbeit durch den Streich eines Schuljungen in Frage stellen?», schrieb die Verlegerin Helen Wolff an John Cage. Die Mutter von Christian Wolff befürchtete, Cage könne sich mit 4’33’’ seine hart erarbeitete Komponistenkarriere zerstören. Ihre Sorge sollte sich allerdings als unberechtigt herausstellen. Die Komposition gehört zu den bekanntesten Stücken, die Cage geschrieben hat. Sie wurde am 29. August 1952 uraufgeführt. Bis heute hat sie ihre polarisierende Kraft nicht verloren. Ein musikalisches Statement, das ohne Noten auskommt und in seiner philosophischen Tragweite ganze Bibliotheken füllt.
Inke Arns und Dieter Daniels gehen in ihrem Hörstück, das in sechs Abschnitte unterteilt ist, den 4 Minuten und 33 Sekunden auf die Spur. Dabei beleuchten sie das Werk aus unterschiedlichen Perspektiven, denken über die Bedeutung von Stille an sich nach und stellen Auseinandersetzungen anderer Klangkünstler mit diesem Thema vor. Eine Leistung des Hörstücks ist es, Stille als Projektionsfläche darzustellen, als einen Möglichkeitsraum, den jeder Rezipient mit eigenen Höreindrücken und intellektuellen Reflexionen auffüllen kann.
Walter Benjamin diagnostiziert die Präsenz des Todes in der Stille. In einer live übertragenen Radiosendung glaubt er, keine Zeit mehr zu haben, und beendet voreilig seine Präsentation. Als er merkt, dass er sich getäuscht hat, hört er in der Stille ein tödliches Schweigen, dass der Klangkünstler Matt Rogalsky in dem Stück Two Minutes Fifty Seconds Silence auch thematisiert. Die Arbeit basiert auf Redepausen, die ein Computerprogramm aus einer Ansprache von George W. Bush filterte. Der damalige Präsident forderte darin Sa­dam Hussein auf, Bagdad binnen 48 Stunden zu verlassen. Eine Drohung, die auch in der Stille zu spüren ist. Die kurzen Pausen klingen wie ein bedrohliches Schlagzeugensemble, das den Rhythmus des Todes spielt. Stille wird hier zum Träger politischer Botschaften.
In einem anderen Teil von Sounds like Silence stellen Arns und Daniels Versuche vor, Stille auf Tonträgern festzuhalten. Man mag es kaum glauben: Bis heute gibt es 54 Aufnahmen von 4’33’’, die alle sehr unterschiedlich klingen. In Ulrich Kriegers Interpre­tation hört man ein vorbeifliegendes Flugzeug im Hintergrund, in anderen Versuchen werden die Resonanzen und Reflexionen der Aufnahmeräume hörbar. Diese Beispiele verdeutlichen, dass es Stille gar nicht gibt. Eine Erfahrung, die auch John Cage in einem schalltoten Raum machte: In Sounds like Silence ist sie im Originalton zu hören. So wie auch viele andere Statements des Komponisten und seiner Zeitgenossen, die dazu animieren, sich mit Cages stiller Musik noch intensiver zu beschäftigen.

Raphael Smarzoch