Spoken Tones

CDs des Ensemble Modern [1]: Werke von Pierre Boulez, Johannes Schöllhorn, Gérard Buquet, Sun-Young Pahg und Peter Eötvös

Verlag/Label: EMSACD-003
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/01 , Seite 85

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Mit schöner Regelmäßigkeit bietet das Ensemble Modern auf dem hauseigenen Label seinen Mitgliedern die Mög­lichkeit, sich auch solistisch in Szene zu setzen. Schließlich sind Neue Musik-Formationen Kollektive versierter Individualisten, deren vielfältige musikalische Horizonte den Perspektivenreichtum eines Ensembles erst ermöglichen. Jetzt sind es Rafael Zambrzycki-Payne (Violine), Eva Böcker (Violoncello) und Uwe Dierksen (Posaune), die ihre Eloquenz unter Beweis stellen dürfen, ohne dass hier artistische Show-Programme schnelle Kasse machen sollen. Stattdessen gibt es reichlich interessante Musik, die über das Format gängiger Instrumental-Monologe weit hinausgeht und elektronische Mittel dabei ebenso einbezieht wie die menschliche Stimme.
Eine besonders spannende Auswahl hat Eva Böcker getroffen, die in vielschichtiger Weise auf die Beziehungen von Musik und Sprache abhebt. Pierre Boulez’ selten zu hörende «Messagesquisse» (1976) ist da fast schon das «konventionellste» Stück, falls man ein Stück für sieben Celli konventionell nennen kann. Eva Böcker hat alle Stimmen gleich selbst eingespielt und sie anschließend im Raum verteilt, was der Lebendigkeit der Interpretation überhaupt keinen Abbruch tut. Dass Eva Böckers musikalischer Horizont über das gängige Repertoire einer Cello-Virtuosin weit hinausgeht, muss man nicht extra erwähnen, wird jedoch in «AdVerb» (2002) von Gérard Buquet mit aller Macht offenbar. Das Stück für Cello und Elektronik, dessen Substanz sich auf Goethes Gedicht An Luna verdankt, bietet packend körperliche Interaktionen von Stimme (die die Klänge des Instruments «verlängert») und Violoncello (das den Duktus des Gedichts aufgreift), Zuspielband (mit voraufgezeichneten Instrumental- und Vokalklängen) und Live-Spiel. Eine Rezitation der besonderen Art und zugleich Musterbeispiel hybrider Expressivität, das Zustände äußerster Dichte und Intensität ausprägt, zumindest wenn das so elanvoll dargeboten wird wie hier.
Für die nötige Beruhigung sorgt Sun-Young Paghs «Vom Fließenden sublimiert» mit fast typisch asiatischem Abtauchen ins Innere des Klangs. Genauer gesagt begab sich die junge koreanische Komponistin 2001 mit allerhand Analyse-Software und Klangbearbeitungsprogrammen ins Sample einer mit dem Bogen gestrichenen Kontrabass-Saite, die Grundlage minimaler Veränderungsprozesse wurde. Mutet trocken an, klingt aber nicht so. «Two poems to Polly» (1998) schließlich, «ein gesprochenes Lied über die Unannehmlichkeit der Unveränderlichkeit», so Autor Peter Eötvös, bringt Böckers Auftritt mit einer minimalistischen Litanei einsamen Wartens auf den verlorenen Geliebten zum Ende – lakonische Melancholie.

Dirk Wieschollek