Hosokawa, Toshio
Stille und Klang, Schatten und Licht
Gespräche mit Walter-Wolfgang Sparrer
Toshio Hosokawa befragt in seiner Musik die Stille als den Urgrund alles Klingenden. Er feiert mit seiner Musik die Langsamkeit. Schnelle Musik, so sagt er, könne er nicht schreiben. Und nicht zuletzt reflektiert Hosokawa in seinen Werken die zentrale kulturelle Idee Japans, die in der Natur keinen Gegensatz zur Kunst erkennt, sondern die Natur als Teil der Kunst begreift und umgekehrt.
Aus europäischer Sicht mutet das exotisch an. Eine Biografie des Komponisten Toshio Hosokawa, Jahrgang 1955, zu schreiben, ist also ein heikles Unterfangen, soll die Exotismusfalle umgangen werden, soll also der ästhetisch-philosophische Ansatz der so genannten außereuropäischen Musik
(-wissenschaft), mithin der eurozentristische Blick vermieden werden. Denn die Dinge, so wie sie nun einmal liegen, sind kompliziert. Hosokawa hat die europäische Kunstmusik intensiv in Europa, vor allem in Deutschland studiert. Wie virtuos Hosokawa die japanische Art zu denken mit dem europäisch geprägten Avantgarde- respektive Musikbegriff zu verknüpfen versteht, macht den Reiz und das singuläre Profil seiner Musik aus.
Deshalb ist die vorliegende Publikation so begrüßenswert, vermeidet sie doch explizit die Position des «Von-oben-drauf-Schauens». Walter-Wolfgang Sparrer hat sich für den direkten Weg entschieden, für eine Serie von Gesprächen mit dem Komponisten. Sparrer gibt die Deutungshoheit nicht einfach aus der Hand. Er nimmt Hosokawa aber auch nicht in die Pflicht als Exeget der eigenen Arbeit. Was Sparrer an Vorarbeit, an Recherche, an Partiturstudium geleistet hat, spiegelt sich in seinen Fragen an Hosokawa wieder. Und das ist viel. Wenn man so will, hat dieses Buch der Fragen denn auch etwas von einem Entwicklungsroman. Der Leser wird dabei mitgenommen, von biografischer Station zu biografischer Station, von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe. Das erste Kapitel ist mit «Hiroshima» überschrieben. Sparrer fragt hier als erstes nach Hosokawas frühester Erinnerung, nach ersten musikalischen Eindrücken. So wird schon in diesem kleinen Kapitel mehr oder minder das sozio-kulturelle Tableau entwickelt, auf dessen Basis Hosokawas Arbeit ruht. Dass diese sich an der Oberfläche scheinbar ruhig entwickelt während Studienaufenthalten in Berlin und in Freiburg im Breisgau, mit Hilfestellung vor allem von Isang Yun und Klaus Huber, erfährt man in den folgenden Kapiteln.
Wie kompliziert verflochten die Erfahrung von europäischem und japanischem Komponieren im traditionellen Sinn bei Hosokawa gedacht werden muss, wird exemplarisch in jenen Kapiteln untersucht, die dem Komponieren als Reflex auf Naturphänomene gewidmet sind. Man lernt dabei einen Komponisten kennen, der trotz aller Einsamkeitsschmerzen zwischen globalisierungsgläubigen Landsleuten sein Studium der geistesgeschichtlichen Traditionen Japans weiter vorantreibt, durchaus vor dem Hintergrund seiner Studien europäischer Musik, all das, um den Begriff der Authentizität substanziell zu bewahren.
Ergänzt werden die Interviews von einem Essay Hosokawas, Notenbeispielen, Fotos und Wiedergaben von klassisch-japanischer Kunst sowie einer ausführlichen Lebens-Werk-Chronik, flankiert von einer sorgfältig zusammengestellten Auswahldiskografie und -bibliografie.
Annette Eckerle