Isang Yun: Sunrise Falling

Matt Haimovitz, Dennis Russell Davies, Yumi Hwang-Williams, Maki Namekawa, Bruckner Orchester Linz

Verlag/Label: 2 SACDs, Pentatone PTC 5186693
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 6/2018 , Seite 68

Seit Dennis Russell Davies Anfang der 80er Jahre durch Heinz Holliger auf das Werk Isang Yuns aufmerksam wurde, hat der langjährige Leiter des Bruckner Orchesters Linz seinerseits versucht, bei der nachfolgenden nord­amerikanischen Interpreten-Generation Interesse an dem koreanischen Komponisten zu wecken. Jüngster Anlass war der 2017 im Brucknerhaus Linz veranstaltete Programmschwerpunkt zu Yuns 100. Geburtstag, in dessen Umfeld ein Großteil der hier versammelten Live-Aufnahmen – Orchester- wie Kammermusik – entstanden ist. Aus der schlaglichtartigen Beleuchtung eines Schaffenszeitraums, der von Gasa für Violine und Klavier (1963) bis zu Kontraste für Solovioline (1987) reicht, ragen besonders die beiden Konzerte, das für Cello wie das erste für Violine, heraus.

Monatelang versenkte sich der Cellist Matt Haimovitz in Isang Yuns Tonsprache, nachdem Davies ihn 2016 darauf hingewiesen hatte. «Ich war erstaunt, dass eine so wichtige Stimme des 20. Jahrhunderts durch das Netz meines maximalistischen musikalischen Appetits geschlüpft war.» Haimovitz hat den Zauber der ersten Begegnung in einer packenden Interpretation des Solo-Parts von Yuns Konzert für Cello und Orchester (1976) bewahrt. In den Kadenzen wird die Identität des Instruments virtuos verschleiert: Cello? Lang­zither? Gar Gitarre? Die Frage nach dem eigenen Wesen ist dem Werk genauso eingeschrieben wie Hinweise auf Entführung und Folterung, die Yun als Opfer der südkoreanischen Militärdiktatur Ende der 1960er Jahre erlitt. Davies erinnert daran mit existenzieller Wucht, lässt seinem Solisten aber genug Freiheit, auch Wege jenseits der institutionell abgenickten Stück-Exegese einzuschlagen. Die Wandlungsfähigkeit, die Leichtigkeit, ja die Brillanz, die Haimovitz beweist, betonen den kämpferischen und widerständischen Aspekt innerhalb dieser musikalisierten Leidensgeschichte.

Für die Solistin Yumi Hwang-Williams ist Yuns Konzert für Violine und Orchester (1981) kein Neuland mehr; sie hat es unter Davies mehrfach zur Aufführung gebracht. Das Werk beruft sich im Vergleich zur Cello-Variante stärker auf die europäische Tradition: hier spätromantische Streicheraufwühlungen, dort impressionistische Farbtupfer von Harfe, Vibrafon und Glockenspiel. Auch werden weitaus versöhnlichere Töne angeschlagen – der Antagonismus zwischen Solist und Apparat ist gedämpft bis zum Dolcissimo.
Die Bedeutung Yuns für die Kultur Nord- wie Südkoreas hat Maria Stodtmaier in einem Dokumentarfilm von 2013 eindrucksvoll herausgearbeitet. Seither ist Bedeutsames für die Halbinsel passiert: die Wahl von Donald Trump und die Amtsenthebung von Park Geun-hye. Gerade weil die vorliegende Doppel-CD Musik mit politischen Bezügen vorstellt, hätte man sich im Booklet mehr als die bekannten Werkanalysen gewünscht – zumindest eine Einschätzung der Rolle, die Yun im Hinblick auf die derzeitigen Annäherungsversuche zwischen den beiden Koreas zukünftig auf kultureller Ebene spielen kann.

Fabian Schwinger