Glass, Philip

Symphony No. 9

Verlag/Label: Orange Mountain Music omm0081
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/06 , Seite 80

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Mit Dennis Russell Davis hat sich Philip Glass den passenden Dirigenten für die Aufführung seiner neunten Sinfonie ausgewählt. Der Chefdirigent des Linzer Bruckner Orchesters begleitet den Komponisten bereits seit seiner ersten sinfonischen Arbeit, der Low Symphony. Damals konnte Glass noch nicht ab­sehen, dass er seinem Œuvre insgesamt zehn Sinfonien hinzufügen sollte.
Beim Hören seiner neunten Sinfonie wird deutlich, dass die nach wie vor in den Medien präsente Bezeichnung des Komponisten mit dem Stiletikett Minimal Music nicht mehr gültig ist. Glass mag zwar neben Steve Reich, Terry Riley und La Monte Young zu den Pionieren dieses Sounds zählen, zu vernehmen ist davon heute allerdings kaum noch etwas. So wie Steve Reich, an dessen kompositorischer Sprache sich Glass zu Beginn seiner Karriere am meisten zu orientieren schien, hat er sich mittlerweile in neue musikalische Bereiche entwickelt. Ein prominentes Element der neunten Sinfonie sind zwar sich wiederholende instrumentale Muster, die von den Spielern höchste Konzentration abverlangen – im Gesamtbild entfalten sie allerdings keine minimalistische Wirkung. Im Gegenteil, die Musik wirkt imposant; sie weist dramatische Qualitäten auf, erzählt in tonaler Sprache eine fünfzig Minuten lange Geschichte. Dass sich Glass nicht als Minimalist, sondern als Theatermusik-Komponist versteht, erscheint vor diesem Hintergrund sehr passend. Er versteht es außerdem, der Musik eine atmosphärische Dichte zu vermitteln. Erklänge die neunte Sinfonie als Filmsoundtrack, wäre das nicht weiter verwunderlich.
Glass eröffnet sein Epos, dessen drei Teile auf einer einfachen A-B-A-Struktur basieren, mit dunklen Klangfarben. Eine bedrohliche Atmosphäre entfaltet sich. Nur langsam kommen die Dinge in Bewegung. Diese Stimmung dominiert Anfang und Ende des ersten Parts. Der Mittelteil steht im Zeichen hektischer Bläserfiguren und perkussiver Einlagen, die manchmal an Militärmärsche erinnern: ein kraftvolles Allegro, das jeweils auch die Mitte der anderen Sätze bestimmt. Die ersten drei Minuten des zweiten Teils werden von beschaulichen Tönen dominiert: sanften Klangfarben, kurzen auf- und abwärts laufenden Melodiebögen, die von Streich- und Blasinstrumenten intoniert werden. Aus der Ferne erklingt ein Glockenspiel. Dann kippt die Stimmung. Die Musik nimmt an Lautstärke zu. Sie wird von energischen Bläser- und Perkussionseinlagen dominiert.
Am interessantesten ist der letzte Teil der Sinfonie, den Glass selbst als anspruchsvollsten Abschnitt beschreibt: ein Amalgam aus unterschiedlichen Rhythmen und kontrapunktischen Verläufen. Die hohe Komplexität überfordert nicht. Denn Glass geht es immer auch um die Hervorhebung der klanglichen Wirkung seiner Musik. Man kann ihren Sound genießen, ohne die dahinterstehenden Prozesse mitverfolgen zu müssen. Am Ende löst sich die Sinfonie buchstäblich auf. Sie verklingt. Stille. Ein bescheidener Schluss für ein imposantes Werk, dessen Nachhall noch lange zu vernehmen sein wird.

Raphael Smarzoch