Zimmermann, Walter

Synastria

Kore / Ataraxia / Klangfaden / Saitenspiel

Verlag/Label: Maria de Alvear World Edition 0021
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/01 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 2

Musik sei tönende Philosophie: das war einst eine leitende Idee der romantischen Musikästhetik. Auf seine eigene Weise versucht heute der Komponist Walter Zimmermann dieser Vision gerecht zu werden, wobei seine Werke geistige Verbindungs­linien zu ganz konkreten Philosophenschulen der Vergangenheit ziehen. Zimmermanns Klavierkonzert Ataraxia, das 1989 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurde, bezieht seinen Denkanstoß aus der antiken Philosophie Epikurs: Um das Streben nach der «Ataraxie» geht es, der menschlichen Seelenruhe, die angesichts aller Anfechtungen und Übel, welche das Leben mit sich bringt, unerschüttert bleibt.
Die damals in Donaueschingen entstandene Aufnahme des achtsätzigen, fast eine halbe Stunde dauernden Stücks bildet das Zentrum der vorliegenden CD-Neuveröffentlichung. Das große virtuose Klaviersolo der ersten fünf Minuten, gestaltet vom Pianisten James Clapperton, und die folgenden impulsiven Attacken des unvermittelt einsetzenden Orchesters zeigen, dass für Walter Zimmermann «Ataraxie» keine leicht zu verwirklichende Haltung ist, sondern eine, die erst gegen Widerstände durchgesetzt werden muss. Ist sie am Ende der Komposition erreicht? Eben noch hat der siebte Satz, «Simulacra», einen «rasenden aber unaggressiven Dialog des Klaviers mit dem Orchester» gebildet, da findet der letzte, «Synastria» etwas wie inneren Frieden, bei sparsamem, aber dennoch nicht ganz spannungslosem Grundmaterial, das sich auf die Tonhöhen b, es und e reduziert.
Dieser Schlussteil ist bezeichnend für Walter Zimmermanns Komponieren, das immer wieder von bescheidenem Material ausgeht und das nur vermeintlich Simple zur Komplexität entfaltet. In Zimmermanns Klangfaden von 1983, hier in einer Neueinspielung des Ensemble Adapter dokumentiert, lässt der Komponist eine überaus zarte, filigrane Textur entstehen, in der sich helle Klänge von Harfe und Glockenspiel merkwürdig mit dunkleren Farben der Bassklarinette verweben. So zart ist das entstehende Gespinst, in das noch Worte von Peter Handke hineingeflüstert werden, dass der Hörer ein ums andere Mal fürchten muss, das hauchdünne Klang-Band könne abreißen.
Als Klangtextil kann man auch Zimmermanns Saitenspiel für 18 Instrumente (darunter anders als der Titel suggeriert zur Hälfte Bläser) bezeichnen, das wie Klangfaden zum größeren Zyklus Sternwanderung gehört: ein endloser Teppich ohne Mitte, in dem Zimmermann mittels mathematischer Matrizenoperationen eine «nicht-zentrierte Tonalität» anstrebt. Abgerundet wird die Einspielung durch Zimmermanns Kore für Flöte, Klarinette, Harfe, Klavier und Trommeln: ein rein instrumentales, wenn auch von einer Dichtung des US-Poeten Robert Creeley angeregtes Stück Musik, das seinen Reiz aus feinen mikrotonalen Differenzierungen der Klänge bezieht.

Gerhard Dietel