Reudenbach, Michael

Szenen, Standbilder

Werke 1991–2009

Verlag/Label: ed. rz 10021-22 | 2 CDs
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Dem Verklingen von Klavieranschlägen wird durch Wiederholung entgegengearbeitet, bis die unentwegt schwindenden Klänge sich auf dem pedalisierten Saitenchor als schwebende Resonanzen ausbreiten und von einem Secco-Sforzato abrupt abgeschnitten werden. Der Beginn von Michael Reudenbachs trio. studie – 2007 für das Ensemble Aventure komponiert – eröffnet programmatisch die Doppel-CD mit insgesamt zwölf zwischen 1991 und 2009 entstandenen Stücken des 1956 in Aachen geborenen Komponisten, dessen gesamtes Werkverzeichnis kaum mehr Titel umfasst. Ohrenscheinlich ist hier ein skrupulöser Künstler am Werk, dem es bei genauer Durchgestaltung im Detail um das Entstehen und Vergehen der Klänge geht. Zwischen scheinbar verlässlicher Kontinuität und schattenhafter Fragilität laviert folglich auch das feine Gespinst gehauchter Liegeklänge von Violine und Violoncello.
Extrempole zeigt auch die Musik für Streichquartett. Leise Streich- und Wischgeräusche werden zu Beginn mit einer impulsiven Agitato-Passage in einen – gemäß der doppelten Konjunktion des Titels und aber – sich sowohl ergänzenden als auch ausschließenden Zusammenhang gebracht. Für den an der unteren Hörschwelle sich bewegenden weiteren Verlauf schürt dies die spannungsvolle Erwartung, zwischen den erstickten Geräuschklängen könnte sich jederzeit wieder eine solche Eruption ereignen. Die Nähe zum maßgeblich durch Helmut Lachenmann geprägten Spektrum erweiterter Spiel- und Klangpraktiken ist unverkennbar. Das Streichquartett des seit 1999 an der Hochschule für Musik Karlsruhe Musiktheorie, Analyse und Gehörbildung lehrenden Komponisten wirkt wie eine vierstimmige Erweiterung von Lachenmanns berühmtem Cello-Solostück Pression. Doch bei aller materialen Verwandtschaft bestehen gravierende Unterschiede in Morphologie, Dramaturgie und Zeitgestaltung. Reudenbach lässt dem Hörer viel mehr Raum und Zeit, sich in die teils vereinzelten und vielfach wiederholten Ereignisse einzuhören.
Sparsam bis zur Kargheit ist Reudenbachs trio 3 von 2009. Tiefes Pochen im Klavier legt die Hammermechanik des Instruments ebenso frei wie Luftanteile den menschlichen Atem hinter Bassetthorn und Bassklarinette. In Zählergesang meint man einer Gehörshalluzination aufzusitzen, wenn zwischen Rauschen und Saltandi unvermutet leises Sprechen zu hören ist, was sich erst durch Wiederholungen als real erweist. Auch andere Elemente werden in diesem und weiteren Stücken erst durch Wiederkehr in ihrer ganzen Komplexität erlebbar. Etwa die minimalen Farb- und Dynamikwechsel der Repetitionen der vom Ensemble Aventure unter Leitung von Bernhard Wulff eingespielten Werke ahto und stratton, das als temporeichere Spielart dafür umso eindrücklicher zum Stillstand kommt. In ihrer teils extremen Reduktion kämpft Reudenbachs Musik unentwegt gegen das Verstummen. Doch am Schluss der Porträt-Edition weicht dieser horror vacui in szenen, standbilder plötzlich umso zarterer Ruhe und Gelassenheit.

Rainer Nonnenmann