Thomson, Ken

Thaw

Verlag/Label: Cantaloupe CA21095
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 86

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 2

Zwischen den Zeilen von Ken Thomsons kurzem Kommentar zu seiner Komposition Perpetual (2010) artikuliert sich ein gewisses Maß an Stolz darüber, das recht überschaubare Repertoire für Bassklarinette und Streichquartett um eine die Möglichkeiten der Besetzung auf unterschiedliche Weise ausreizende Komposition bereichert zu haben. Ausgangspunkt des dreisätzigen Werks ist ein als Duo konzipiertes Klangzent­rum in den tiefen Registern von Bassklarinette und Violoncello, das nach einer Einleitungsphase mit kalten, vibratolosen Akkorden der übrigen Streicher vereint wird. Beinahe elektronisch mutet der hier erzeugte Zusammenprall an, der im weiteren Verlauf des Kopfsatzes durch Parallelbewegung von tieferem Klangzent­rum und jeweils höher gelagertem harmonischem Widerpart schrittweise ungeahnte Hö­hen erreicht. Im zweiten Satz treffen dagegen Patterns und rhythmisch artikulierte Abläufe in der Manier eines Perpetuum Mobile aufeinander, wo­bei die Klarinette gegen die als Block agierenden Streicher geführt wird. Im dritten Satz schließlich tritt das Blasinstrument als Sänger mit melodischen Bögen hervor, an die sich die Streicher auf vielfältige Art mit harmonisch sich verzweigenden Legato-Schaukelbewegungen anlagern. Schla­ckenlos klar und präzise in der Artikulation bewegen sich die Musiker des JACK Quartet gemeinsam mit Ken Thomson durch die vielseitige Partitur, die trickreich immer wieder mit kurzen Momenten der Klangverschmelzung aufwartet und den Hörer in die Irre führt.
Ein Gegengewicht dazu bildet – trotz deutlicher Analogien in der satztechnischen Gestaltung – das vier­sätzige Streichquartett Thaw (2011): Auch hier geht es dem Komponisten um die Wirksamkeit unterschiedlicher instrumentaler Gruppierungen, realisiert als variabel gehandhabtes Gegeneinander einer oder mehrerer Stimmen gegen die übrigen Ensemblemitglieder – eine Situation, der die Musiker mit präzisem Vortrag ohne jegliche rhythmische Schwächen begegnen. Im Kopfsatz wird daraus eine Kollision scharf akzentuierter rhythmischer Verläufe mit der durchdringenden Wirkung orgelpunktartiger Klangfolgen oder Harmonien, wodurch Thomson die Distanz zwischen Unvereinbarem klanglich zu Tage treten lässt.
Der zweite Satz wiederum beginnt mit einem scharfkantigen Unisono, von dem aus die Streicher in Duogruppierungen auseinandertretend zu konzertieren beginnen, um sich am Ende wieder im Unisono zu vereinen. Im Gegensatz zur primär energetischen Dimension dieses kontrapunktischen Dialogs treffen im dritten Satz zurückhaltend gestrichene Klänge und Pizzicati aufeinander, während der letzte Teil zunächst einer Kantilene Raum gibt, die meist in rhythmisch unisono vorgetragene Klangblöcke eingebunden wird, um sich allmählich zu einer rhythmisch exaltierten Schlusspartie zu steigern. Gerade hier treten die immer wieder unterschwellig wahrnehmbaren Einflüsse repetitiver Mu­sik auf Thomsons Komponieren verstärkt hervor und werden zu einer Art Selbstläufer, der die Musik recht formelhaft und ohne die Über­zeugungskraft früherer Passagen des Werks ins Leere laufen lässt.

Stefan Drees