Frith, Fred / Cosa Brava

The Letter

Verlag/Label: Intakt CD 204
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/06 , Seite 90

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Ein hohles Geräusch wie ein Gongschlag oder ein Klavier-Cluster, dann ein Dur-Motiv: eine Art Volkstanz mit Violine und E-Gitarre in Engführung, aber einen Sekundschritt höher, gefolgt von einem elektronischen Schatten. Es endet wieder mit einem Geräusch, aus dem hohe Sinustöne hervorperlen. Ein gemächlicher Bass schaltet sich ein, die Melodie teilen sich Ton für Ton Akkordeon, E-Gitarre und Violine, bis sich schließlich einzelne Läufe herauskristallisieren. Ein rockiger Rhythmus mit Schlagzeug, Gitarrenakkorden und einer Akkordeonmelodie bildet das zweite Thema.
Eyjafjällajökull Tango heißt das Stück in Erinnerung an den isländischen Vulkan, der 2010 in Teilen Eu­ropas den Flugverkehr zum Erliegen brachte. Doch von einem Tango lässt sich allenfalls in einem sehr weiten Sinne sprechen, obwohl Fred Frith Astor Piazzola durchaus als Vorbild betrachtet – wenn auch eher in Bezug auf das musika­lische Vorgehen: Die Musik auf The Letter, der zweiten CD der Band «Cosa Brava», ist durchkomponiert. Sie ist allerdings, wie bei Piazzola, einem festen Ensemble auf den Leib geschrieben: Vor allem Zeena Parkins und Carla Kihlstedt kennt Frith seit langer Zeit. Es gibt polyphone Stimmführungen und kontrastierende Themen wie in der klassischen Musik. Gleichwohl lässt sich Cosa Brava vom Klang, von der rhythmischen Präsenz und Lebendigkeit her nur als Rock-Band bezeichnen.
Die Musik ist voller überraschender Wendungen und ungerader Rhythmen, mal sanft, mal heftiger, häufig von einer zerbrechlichen Schönheit. The Wedding beginnt mit einer Grundierung der indischen Tambura, um im nächsten Moment in einen Reggae-Rhythmus überzugehen: Eine Orientierung an Bollywood-Filmmusik ist heraushörbar, aber wieder in einem sehr allgemeinen, übertragenen Sinne. Den ungewöhnlichsten Teil hat der Mann am Mischpult, der sich «The Norman Conquest» nennt: Er mischt nicht nur die Klänge, er greift bisweilen Bestandteile heraus und spielt sie verfremdet wieder zurück oder lässt sich in Slings and Arrows mit längeren eigenen Kaskaden vernehmen.
Mit Cosa Brava knüpft Frith dort an, wo er mit seinen frühen Bands «Henry Cow», «Art Bears» und vor allem «Skeleton Crew» aufgehört hat. Professor in Oakland und Basel, kümmert er sich nicht um die Konventionen der Rock-, schon gar nicht der akademischen komponierten Musik, schreibt vielmehr Songs und Instrumentalstücke, die nur seinem eigenen Kompass folgen – und den Fähigkeiten seiner Mitmusiker. Text und Gesang in den wenigen Liedern scheinen privateste Erfahrungen anzusprechen, steigern sich schließlich in Nobody Told Me zu höchster Intensität, wenn Frith mit überschlagener Soulstimme über einen zweistimmigen gegenläufigen Gesang extemporiert. In der Reprise des Anfangsthemas geht am Ende das Volkstanz-Motiv allmählich in seinen elektronischen Echos und Klangeffekten unter.

Dietrich Heißenbüttel