Corbett, Sidney

The Longings

Verlag/Label: Made from Nothing / Edition Koper­nikus 001
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 89

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Die amerikanische Herkunft ist unüberhörbar. Bei der ersten Begegnung mit den vier Kammermusikstücken, die Sidney Corbett zwischen 2003 und 2006 geschrieben hat und die hier vom Berliner Modern Art Ensemble eingespielt wurden, denkt man sofort an Morton Feldman. Patterns sind zu hören, Gesten, Melodiefragmente, die geschichtet, hoquetusartig ineinander verzahnt, wiederholt und doch ständig variiert werden und sich zu fein gesponnenen Klangbildern zusammensetzen. Eine meist leise, fragile Musik, die wenig Anspruch auf formale Entwicklung legt, sich dafür aber dem Hier und Jetzt der Klänge völlig hingibt.
Corbett wurde 1960 in Chicago geboren, studierte an der University of California in San Diego und an der Yale University und kam dann 1985 nach Hamburg, wo er in die Kompositionsklasse von György Ligeti aufgenommen wurde. Seither lebt und arbeitet Corbett in Deutschland. Auch das schlägt sich in seiner Musik nieder.
Was ein Stück wie Gesänge der Unruhe für Flöte, Klarinette, Klavier und Streichtrio von Morton Feldman unterscheidet, ist die Bedeutung melodischer Linien in Corbetts Musik. Die Vokabel «Gesänge» im Titel hat durchaus ihre Berechtigung, selbst wenn die Melodik zersetzt ist und Töne isoliert werden. Anfangs meint man Andeutungen an Eislers Solidaritätslied Vorwärts und nicht vergessen wahrzunehmen. Zwar verflüchtigt sich das im weiteren Verlauf – doch tauchen in den vier Sätzen immer wieder melodische Wendungen auf, die durch Parallelführung unterschiedlicher Instrumente in den Vordergrund gespielt und da­bei ständig neu beleuchtet werden.
Im Angesicht des Zweifels für Klavier, Cello und Klavier ist flächiger gedacht, dafür dynamisch lebhafter. Eine entrückte Klangwelt, die Messiaen ihre Referenz erweist, gelingt Corbett in dem Solostück für Klavier The Celestial Potato Fields. Und The Longings für Flöte, Harfe, Viola und Violoncello bringt über die Streicher tatsächlich einen Hauch von Melodramatik in die Musik.
Das Modern Art Ensemble arbeitet immer wieder mit Sidney Corbett zusammen und ist mit seiner Musik in hohem Maße vertraut. Da­her lag es nahe, es mit der ersten Einspielung zu betrauen, die auf dem von Sidney Corbett und Tino Schüllermann neu gegründeten Berliner Label «Made from Nothing» erschienen ist. Das Label entstand aus dem Wunsch heraus, eine Plattform für Neue Musik und elektronische Clubmusik gleichermaßen zu schaffen. Die Unterreihe «Edition Kopernikus» widmet sich dabei junger und jüngster Neuer Musik.
Mit knapp 45 Minuten nimmt sich der Umfang von The Longings eher bescheiden aus. Pluspunkt ist ein informativer Booklet-Text von Volker Helbing, der fundiert in die einzelnen Werke einführt. Wünschenswert wäre eine Auflistung nicht nur der Werktitel, sondern auch der einzelnen Satzbezeichnungen gewesen.

Elisabeth Schwind