Eggert, Moritz

The Raven Nevermore

Verlag/Label: audite 92.687 | SACD
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/01 , Seite 86

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Zeit, Vergänglichkeit, Verfall – das ist der Themenkreis, der das Werk von Edgar Allan Poe prägt. Den Namen des Gedichts des schwarzen Romantikers mit dem Titel Der Rabe, der immerzu «Nimmermehr» krächzt, hat Moritz Eggert seiner Ouvertüre für Kammerorchester gegeben, einem Stück, das apart zwischen überspitzter spätromantischer Harmonik mit Mahler’­scher Anmutung im Melodiösen und geräuschhaften Phasen oszilliert. Dieses Stück mag auch repräsentativ stehen für Eggerts Haltung als Komponist, die bestimmt ist von der Frage, wie es sich musikalisch unangepasst arbeiten lässt, ohne in dieser Unangepasstheit wiederum angepasst zu sein.
Das Werkzeug, mit dem Eggert dieses ebenso komplizierte wie künstlerisch existenzielle Thema umkreist, ist ein ins Offene gerichtetes spielerisches Ohr. Will heißen, Eggert hantiert nicht mit qualitativ scheinbar eindeutig konnotierten Unterscheidungen wie «E»- und «U-Musik». Die eine Ebene, die er streng meidet, ist die der flachen Unterhaltung. Die andere Ebene, die ihm trotz aller auch philosophisch inspirierten Spielfreude suspekt ist, ist die der aller Sinnlichkeit entleerten reinen intellektuellen Konstruktion. So gesehen ist die vorliegende Produktion mit Werken Eggerts aus den Jahren 1985 bis 2010 nicht mehr und nicht weniger als ein repräsentativer Querschnitt der Arbeit des Komponisten, der mit seinen Stücken polarisiert, wenngleich nicht aus Lust an der Provokation.
Mit welchem Mut, aber auch Respekt Eggert seine Sicht auf musikalische Ikonen neu formuliert, ist schon dem Eingangstitel eingeschrieben. Ich bin der Welt abhanden gekommen – dieses Rückert-Gedicht, das Mahler mit seiner Komposition wohl ein für allemal melodiös geprägt hat, ist von Eggert zusammen mit Inga Humpe und Tom­mi Eckart von der Popband «2raum­wohnung» in einen stilistisch sorgfältig gestalteten Transferraum versetzt worden, irgendwo verankert zwischen modern ausklingender Spätromantik und heutigem populären Duktus. Abzulesen ist das auch an dem Instrumental­arrangement, in dem Eggert die Singstimme einbettet in Streicher- und E-Gitarre-Sounds, geführt vom Klavier.
Grundsätzlich, so hat man den Eindruck, kreist Eggert mit seiner spielerischen Grundhaltung um das berühmte Unaussprechliche, das hinter den Dingen, insbesondere hinter den Worten liegt. So sucht Eggert hinter dem Titel Tetragrammaton, dem hebräischen Symbol für Jahwe, auf rhythmisch und vor allem auf instrumentationstechnisch eigentümliche Weise nach dem unaussprechlichen Grund allen Seins. Ein we­nig erinnert das an Charles Ives, eines der Vorbilder von Eggert – hier auch repräsentiert in Adagio – An Answered Question –, ein wenig auch an die großen Minimalisten, und doch: Tetragrammaton ist ein originäres Eggert-Stück in seiner splendiden Verknüpfung von rhythmischen und melodischen Schich­ten. Anders gesagt: Vielleicht lässt sich Moritz Eggert als ein meisterlicher Vertreter der originellen Allusion begreifen.

Annette Eckerle