The Stroke That Kills

Werke von Eve Beglarian, Alvin Curran, Michael Fiday, David Dramm, Gustavo Matamoros und Tom Johnson

Verlag/Label: New World Records 80661-2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/01 , Seite 87

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

 

Seit den späten 1960er Jahren ist die E-Gitarre immer wieder mal (ein eher schüchterner) Gast in den Partituren der «Neuen Musik» gewesen – zu groß war jahrzehntelang die (von beiden Seiten mit Inbrunst aufrecht erhaltene) Kluft zwischen Popkultur und «E-Musik». Spätestens aber mit Helmut Oehring und Rebecca Saunders ist auch das Signum der Rock-Musik schlechthin endgültig in der zeitgenössischen Kompositionsmusik an­gekommen. Inzwischen führen die vielfältigen Klangmöglichkeiten des Instruments auch verstärkt zu Solokompositionen, insbesondere in Über­see. Es verwundert daher nicht, wenn das Gros der Stücke dieser Gitarren-Kompilation amerikanischer Herkunft sich dezidiert Verfahren der Minimal Music bedient.
Nicht nur Eve Beglarian bemüht da mit Vorliebe Delay-Techniken, die seit Robert Fripp in aller Munde sind. Ihr Until it Blazes (2001) bildet einen Teppich aus kontemplativen Wiederholungsschleifen, deren flauschige Oberfläche sich einer Polyphonie der Echowirkungen verdankt: eine All-over-Struktur, in der sich (im Sinne einer «Illusionsrhythmik», die schon Ligeti am Minimal bewunderte) inhärente Melodie- und Rhythmus-Akzente ausprägen. Auch Alvin Curran, ehemals Schüler von Elliot Carter und inzwischen einer der altgedientesten Experimentatoren der USA, ist im Mehrspurverfahren den expressiven Möglichkeiten eines Klangkontinuums auf der Spur. Das dreiteilige Strum City (1999) für fünf elektrische Gitarren und zwei E-Bässe verdichtet besonders im ersten Satz diverse Schlagtechniken zu einer harmonisch fluktuierenden Statik von eindrucksvoller Intensität. Eine intensivere Auseinandersetzung mit dem angestammten Vokabular des Instruments offenbart sich in der hörbaren Rock-Affinität von Michael Fiday. In Slapback (1997), inspiriert von den Rückkoppelungen eines Live-Albums der Rockgruppe «The Who», erscheinen die verzerrten Resultate von Delay und Phase-Shifting wie zerhackte Chiffren des Rock’ n’ Roll.
Dem Mythos ausschweifender Gitarrensoli scheinen die Komponisten dieser CD jedoch nicht verfallen zu sein: Der im Rock besonders hedonistisch ausgelebte melodische Aspekt der E-Gitarre wird hier allerorten
zu­­gunsten der repetitiven Auslotung von Rhythmus und Harmonie in den Hintergrund gedrängt. Auch für David Dramm ist der Gitarrist vor allem ein «Drummer playing chords», was sich in The Stroke that Kills (1993) in der Transformation von Flamenco-Techniken niederschlägt.
War die implizite Statik all dieser Kompositionen vor allem auf minimalistische Wiederholungs-Strategien ausgerichtet, gehen Tom Johnson (eher spröde und konstruiert sein Canon for Six Guitars) und Gustavo Matamoros andere Wege. Letzterer lässt mit Stoned Guitar/TIG Welder (2005) ganz nach Gepflogenheit seines ästhetischen Ziehvaters John Cage gleich zwei Stücke parallel aufführen. Der künstlerische Leiter des «Subtropics Experimental Music and Sound Art Festival» Miami und Freund offener Formgefüge produziert hier bestes «Ambient» per Gitarre, einen sphärischen und geräuschlastigen Wall-of-Sound, der mit immer größer werdender Intensität vorüberrauscht.

Dirk Wieschollek