Travelling Pieces

Verlag/Label: Ensemble Modern Medien EMCD-026
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Dieses Doppelalbum enthält eine rare Kollektion zeitgenössischer Vortragsstücke für und mit Horn: zehn Solostücke (CD 1) und sieben Kammermusikwerke unterschiedlicher Besetzung (CD 2). Ihre Autoren kommen aus zwölf Ländern rund um den Erdball. Die meisten sind dem phänomenalen Hornisten Saar Berger, Mitglied des Ensemble Modern und begehrter Gast zahlreicher Orchester und Ensembles, in Freundschaft verbunden.
Bis auf eine Ausnahme entstanden alle «Reisestücke» im 21. Jahrhundert. Etliche sind dem 1980 in Tel Aviv geborenen Virtuosen, der unter anderem bei Michael Höltzel in Hamburg und Marie-Luise Neu­necker in Berlin studierte, eigens gewidmet: als Früchte anregenden Austausches zwischen Interpret und Komponist. Einige der abgedruckten Werkkommentare spiegeln die Begeisterung der Komponisten über die Entdeckungslust des Hornisten.
Die buntscheckige Blütenlese beginnt mit einem Diptychon, das der komponierende Oboenvirtuose Heinz Holliger – Ältester der hier versammelten Tonschöpfer – dem walisischen Hornisten Jonathan Williams zueignete. So schwierig zu artikulieren wie der keltische Titel Cynddaredd – Brenddwyd [Wut – Traum] ist auch das Solostück. Es entstammt einer Serie von «Klangporträts», die der Schweizer zum 20. Jubiläum des Chamber Orchestra of Europe einzelnen Orchestermitgliedern verehrte.
Coronae (Strahlenkränze) nennt der Tscheche Miroslav Srnka eine Bewegungsstudie, die sich kontinuierlich fortschreibt, ähnlich der Sonnen-Korona, aber auch wirbelnden Wassern oder ziehenden Fisch- und Vogelschwärmen. Samtig «wie das Bäckchen eines vier Monate alten Babys» stellt sich der Japaner Dai Fujikura sein Charakterstück Poyopoyo vor – ein Wunsch, dem der Interpret mit speziellen Dämpfern und Wah-Wah-Effekten nachkommt. «Er verwandelt alles in Musik», stimmt der komponierende Klarinettenvirtuose Jörg Widmann in den Begeisterungschor ein. Mag sein Air dem Horn auch schier Unmögliches zumuten – bei Berger tönt es so leicht wie ein Luftgeist.
Mit einer Sonata da Caccia für Oboe, Horn und Cembalo – Hommage à Debussy et Couperin – eröffnet der Engländer Thomas Adès den Reigen der Kammermusiken, die Berger mit seinen «wunderbaren Kollegen vom Ensemble Modern» aufführt. Darunter die tönende Choreografie Three Step für Horn, Violine und Violoncello der Australierin Cathy Milliken, ein nicht-temperiertes (mit Vierteltönen durchsetztes) Warm-up für Horn und Schlagwerk des Slowenen Vito Žuraj und eine flamencoartige Melodia de los sueños (Melodie der Träume) des norwegischen Kontrabassisten Håkon Thelin.
An Wolkenstudien von William Turner oder John Constable mögen die Fog Mobiles von Anthony Cheung erinnern, die Berger im Dialog mit dem Sinfonieorchester des hr betörend ins Bild setzt. Das «sanfte Gemurmel der unsichtbaren Nebelhörner», mit dem der Komponist in der Hafenstadt San Francisco aufwuchs, klingt hier changierend wie von fern her nach. Den komisch-krausen Kehraus besorgt der argentinische Trompeter Valentin Garvie mit seinen Variationen für Blechbläser-Quartett über den Jazz-Standard Let’s call this von Thelonious Monk, dem Wegbereiter des Bebop.            

Lutz Lesle