Feldman, Morton

Triadic Memories

Verlag/Label: Cuicatl YAN.011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 85

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 5

Der Prozess des Erinnerns spielt im Klavierwerk Triadic Memories von Morton Feldman auf mehreren Ebenen eine essenzielle Rolle. Das stete Kreisen auf der Suche nach einem entfallenen Gedanken bildet die Blaupause für das Stück, das sich in der Interpretation von Pascale Berthelot auf knapp einhundert Minuten ausdehnt. Die Pianistin spielt die dichte Partitur Feldmans werkgetreu, mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen poetischer Meditation und technischer Präzision.
Was entsteht, sind vermeintlich ziel- und endlos zirkulierende Klän­ge, in denen sich der Hörer leicht verliert. Abdriften scheint hier aber erlaubt zu sein, es wird sogar durch die formale Vorgehensweise des Komponisten explizit herausgefordert – so gibt Feldman etwa an, im Schreibprozess häufig selbst vergessen zu haben, welche Akkorde er zuvor bereits verwendet habe: «I then reconstructed the entire section: rearranging its earlier progression and changing the number of times a particular chord was repeated», heißt es im Text des Booklets. Damit wurde bewusst versucht, die gedankliche Suche nach Erinnerung zu formalisieren. Das Resultat ist ein stetes klangliches Pendeln in repetitiven Patterns um ein unbestimmtes Zentrum – die Erinnerung wird zum sich konstant entfernenden Ziel. Auf weiten Strecken reduziert Feldman den Tonvorrat auf zwei Intervalle («kleine» Schritte im Sekundabstand) und schließt durch Wiederholungen musikalische Entwicklung aus. So tasten sich Pianist und Hörer gleichermaßen voran, stets im perpetuierten Schwebezustand verhaftet. Je­der vermeintliche Fortschritt kann sich in der nächsten Sekunde als Sackgasse herausstellen und verworfen werden, gleichzeitig ist Rast ausgeschlossen und das assoziativ gelenkte Vorwärtsfließen zum unumstößlichen Prinzip erhoben.
Ihr Vorbild finden die minimalistischen Klänge in den unterschied­lichen Spielweisen dreier Pianisten, nämlich David Tudor, Roger Woodward und Aki Takahashi. Während Feldman den beiden letztgenannten das Werk zueignet und es in den ersten Jahren fast ausschließlich von ihnen gespielt wurde, war es die Klarheit der Interpretation des frühen Tudor, die den Ausgangspunkt für die Gestaltung der melodischen Figuren bildete. In Kombination mit dem – von Feldman einmal so bezeichneten – «prosaischen» Stil Woodwards und der quasi religiös anmutenden stillen Energie im Spiel von Aki Takahashi gießt der Komponist einen in sich konsistenten Hybriden aller drei Interpretationsansätze zusammen.  
Die CD ist die erste Veröffentlichung des neu gegründeten französischen Labels «Collection Cuicatl». Mit dem aztekischen Begriff, der schlicht «Musik» oder «Gesang» meint, verweist das Label auf seinen programmatischen Ansatz, Musik präsentieren zu wollen, die beim ersten Hören ungewohnt und fremd wirkt, schon bald aber eine altbekannte Vertrautheit entwickelt – wie ein vergessenes Ereignis, dessen man sich wieder erinnert. Kein Werk könnte diesen Ansatz besser repräsentieren als Triadic Memories.

Patrick Klingenschmitt